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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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menschenleere Straße und auf Pflaster. Die Stadt war ihm so bekannt wie seine fünf Finger; aber die Bogojawlenskaja-Straße war noch sehr fern. Es war schon zehn Uhr durch, als er endlich vor dem verschlossenen Tore des dunklen alten Filippowschen Hauses stehen blieb. Das untere Stockwerk stand jetzt nach dem Wegzuge des Lebjadkinschen Geschwisterpaares ganz leer, und die Fenster waren mit Brettern vernagelt; aber im Halbgeschoß bei Schatow war Licht. Da keine Klingel da war, so schlug er mit der Hand gegen das Tor. Es wurde ein Fenster geöffnet, und Schatow blickte auf die Straße hinaus; es war eine furchtbare Dunkelheit, so daß es schwer hielt, jemanden zu erkennen; Schatow sah lange hin, wohl eine Minute lang.
    »Sind Sie es?« fragte er auf einmal.
    »Ja, ich bin es,« antwortete der unerwartete Besucher.
    Schatow schlug das Fenster zu, kam herunter und schloß das Tor auf. Nikolai Wsewolodowitsch trat über die hohe Schwelle und ging, ohne ein Wort zu sagen, an ihm vorbei geradeswegs nach dem Seitengebäude zu Kirillow hin.
     
V.
     
    Hier war alles unverschlossen und nicht einmal die Türen angelehnt. Der Flur und die ersten beiden Zimmer waren dunkel; aber aus dem letzten, in welchem Kirillow wohnte und seinen Tee zu trinken pflegte, schimmerte Licht, und es war Gelächter, sowie ein sonderbares Kreischen vernehmbar. Nikolai Wsewolodowitsch ging auf das Licht zu, blieb aber ohne einzutreten auf der Schwelle stehen. Auf dem Tische stand Tee. Mitten im Zimmer stand die alte Frau, die Verwandte des Hauswirtes, mit bloßem Kopf, nur im Unterrock, mit Schuhen auf den bloßen Füßen und mit einer Jacke von Hasenfell. Auf dem Arm hielt sie ein Kind von anderthalb Jahren, im bloßen Hemdchen, mit nackten Beinchen, heißen Bäckchen und weißen, wirren Härchen; es war soeben aus der Wiege genommen. Es hatte offenbar unlängst geweint; denn es standen ihm noch Tränchen in den Augen; aber in diesem Augenblick streckte es die Ärmchen aus, klatschte in die Hände und lachte, wie eben kleine Kinder lachen, so daß es fast wie ein Schluchzen klang. Vor ihm stand Kirillow und warf einen großen roten Gummiball auf den Fußboden; der Ball sprang bis an die Decke hinauf, fiel wieder nieder, und das Kindchen schrie: »Ba, Ba!« Kirillow fing den Ball und gab ihn ihm; das Kindchen warf ihn dann selbst mit seinen ungeschickten Händchen, und Kirillow lief hin und hob ihn wieder auf. Endlich rollte der »Ba« unter einen Schrank. »Ba, Ba!« schrie das Kindchen. Kirillow warf sich auf den Fußboden, streckte sich lang aus und versuchte den »Ba« mit dem Arme unter dem Schranke hervorzuholen. Nikolai Wsewolodowitsch trat ins Zimmer; als das Kind ihn erblickte, drückte es sich an die alte Frau und brach in ein langgezogenes, kindliches Weinen aus; diese trug es sofort hinaus.
    »Stawrogin?« sagte Kirillow, indem er sich mit dem Balle in der Hand vom Fußboden erhob; er zeigte sich über den unerwarteten Besuch nicht im geringsten verwundert. »Wollen Sie Tee?«
    Er richtete sich vollständig auf.
    »Ich nehme ihn sehr gern an, wenn er warm ist,« erwiderte Nikolai Wsewolodowitsch. »Ich bin ganz durchnäßt.«
    »Warm ist er, sogar heiß,« versicherte Kirillow mit Vergnügen. »Setzen Sie sich; Sie sind naß und schmutzig; das tut nichts; ich wische nachher den Fußboden mit einem nassen Lappen auf.«
    Nikolai Wsewolodowitsch setzte sich und trank die eingegossene Tasse beinah mit einem Male aus.
    »Noch mehr?« fragte Kirillow.
    »Danke.«
    Kirillow, der sich bis dahin nicht gesetzt hatte, setzte sich ihm nun sogleich gegenüber und fragte:
    »Was führt Sie her?«
    »Ein Anliegen. Lesen Sie diesen Brief, er ist von Gaganow. Sie erinnern sich, ich habe Ihnen von ihm schon in Petersburg erzählt.«
    Kirillow nahm den Brief, las ihn durch, legte ihn auf den Tisch und sah seinen Gast erwartungsvoll an.
    »Diesen Gaganow«, begann Nikolai Wsewolodowitsch seine Auseinandersetzung, »habe ich, wie Sie wissen, vor einem Monate in Petersburg zum erstenmal in meinem Leben getroffen. Wir waren etwa dreimal zusammen in Gesellschaft bei anderen Leuten. Obwohl er sich mir nicht vorstellen ließ und nicht mit mir redete, fand er doch die Möglichkeit, sich gegen mich sehr dreist zu benehmen. Ich habe Ihnen das damals gesagt; aber eines wissen Sie noch nicht: als er damals aus Petersburg noch vor mir abreiste, schickte er mir einen Brief, der, wenn auch nicht von der Art wie dieser, so doch ebenfalls im höchsten Grade unanständig

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