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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Zeit ist kein Gegenstand, sondern eine Idee. Sie wird im Geiste erlöschen.«
    »Alte philosophische Gemeinplätze, immer dieselben seit dem Anfang der Dinge,« murmelte Stawrogin mit einer Art von geringschätzigem Bedauern.
    »Immer dieselben! Immer dieselben seit dem Anfang der Dinge und niemals andere!« fiel Kirillow mit blitzenden Augen ein, als ob in diesem Gedanken für ihn ein Triumph läge.
    »Sie sind wohl sehr glücklich, Kirillow?«
    »Ja, sehr glücklich,« antwortete dieser, als ob er die allergewöhnlichste Antwort gäbe.
    »Aber Sie waren doch erst neulich so betrübt; Sie hatten sich über Liputin geärgert.«
    »Hm! ... Jetzt schimpfe ich nicht. Damals wußte ich noch nicht, daß ich glücklich war. Haben Sie einmal ein Blatt gesehen, ein Baumblatt?«
    »Ja.«
    »Ich sah neulich ein gelbes Blatt; wenig Grün daran; an den Rändern war es vermodert. Der Wind hatte es fortgetragen. Als ich zehn Jahre alt war, schloß ich im Winter manchmal absichtlich die Augen und stellte mir ein grünes, hellgeädertes Blatt vor, auf dem die Sonne glänzte. Ich machte die Augen auf und traute ihnen nicht, weil es so gut gewesen war, und schloß sie wieder.«
    »Was wollen Sie damit sagen? Ist das eine Allegorie?«

    »N-nein ... weshalb? Keine Allegorie; ich meine einfach ein Blatt, nur ein Blatt. Das Blatt ist gut. Alles ist gut.«
    »Alles?«
    »Ja. Der Mensch ist unglücklich, weil er nicht weiß, daß er glücklich ist; nur darum. Das ist alles, alles! Wer das erkennt, der wird sogleich glücklich, augenblicklich. Diese Schwiegermutter wird sterben, und das kleine Mädchen wird zurückbleiben, – alles ist gut. Ich habe das auf einmal entdeckt.«
    »Aber wenn jemand Hungers stirbt, oder wenn jemand ein Mädchen beleidigt und entehrt, – ist das auch gut?«
    »Ja, es ist gut. Und wenn jemand einem kleinen Kinde den Kopf zerschmettert, so ist auch das gut, und wenn er ihn nicht zerschmettert, ist es ebenfalls gut. Alles ist gut, alles. All denen geht es gut, welche wissen, daß alles gut ist. Wenn die Menschen wüßten, daß es ihnen gut geht, dann würde es ihnen gut gehen; aber solange sie nicht wissen, daß es ihnen gut geht, wird es ihnen schlecht gehen. Das ist der ganze Gedanke, der ganze; weiter gibt es keinen!«
    »Wann haben Sie denn erkannt, daß Sie so glücklich sind?«
    »In der vorigen Woche, am Dienstag; nein, es war am Mittwoch; denn es war schon Mittwoch, in der Nacht.«
    »Bei welchem Anlaß denn?«
    »Ich erinnere mich nicht; ohne besonderen Anlaß; ich ging im Zimmer auf und ab ... es ist ja ganz egal. Ich hielt die Uhr an; es war zwei Uhr siebenunddreißig Minuten.«
    »Das sollte wohl symbolisch bedeuten, daß die Zeit stehen bleiben muß.«
    Kirillow schwieg eine Weile.
    »Die Menschen sind nicht gut,« begann er dann auf einmal wieder, »weil sie nicht wissen, daß sie gut sind. Sobald sie das erkennen werden, werden sie kein Mädchen mehr vergewaltigen. Sie müssen erkennen, daß sie gut sind, und alle werden sofort gut werden, alle, ohne Ausnahme.«
    »Also Sie selbst, Sie haben erkannt, daß Sie gut sind?«
    »Ja, ich bin gut.«
    »Darin stimme ich Ihnen übrigens bei,« murmelte Stawrogin finster.
    »Wer da lehren wird, daß alle gut sind, der wird die Welt zur Vollendung führen.«
    »Den, der das gelehrt hat, hat man gekreuzigt.«
    »Er wird kommen, und sein Name wird Menschgott sein.«
    »Gottmensch?«
    »Menschgott; das ist ein Unterschied.«
    »Zünden Sie selbst schon das Lämpchen vor dem Heiligenbilde an?«
    »Ja, diesmal habe ich es angezündet.«
    »Sind Sie gläubig geworden?«
    »Die alte Frau hat es gern, daß das Lämpchen brennt ... und heute hatte sie keine Zeit,« murmelte Kirillow.
    »Aber Sie selbst beten noch nicht?«
    »Ich bete zu allem. Sehen Sie, da kriecht eine Spinne an der Wand; ich sehe sie an und bin ihr dankbar dafür, daß sie da kriecht.«
    Seine Augen brannten wieder. Er sah seinem Gaste mit festem, unverwandtem Blicke gerade ins Gesicht. Dieser hörte ihm mit finsterer, widerwilliger Miene zu, in der jedoch kein Spott lag.
    »Ich möchte darauf wetten: wenn ich wieder herkomme, werden Sie schon auch an Gott glauben,« sagte er, indem er aufstand und nach seinem Hute griff.
    »Warum?« fragte Kirillow, der sich ebenfalls erhob.
    »Wenn Sie erkennten, daß Sie an Gott glauben, dann würden Sie an ihn glauben; aber da Sie noch nicht wissen, daß Sie an Gott glauben, so glauben Sie auch nicht an ihn,« antwortete Nikolai Wsewolodowitsch lächelnd.
    »Das

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