Die Dämonen
denselben Gedanken?« fragte Stawrogin nach einem etwa eine Minute lang dauernden Stillschweigen mit einiger Vorsicht.
»Ja,« antwortete Kirillow kurz, der sogleich am Tone erkannt hatte, wonach er gefragt wurde, und begann, die Waffen vom Tische wieder wegzuräumen.
»Wann denn?« fragte Nikolai Wsewolodowitsch noch vorsichtiger, wieder nach einem ziemlich langen Schweigen.
Kirillow hatte unterdessen die beiden Kästchen wieder in den Koffer getan und sich auf seinen früheren Platz gesetzt.
»Das hängt nicht von mir ab, wie Sie wissen; sobald es mir gesagt wird,« murmelte er, durch die Frage anscheinend etwas in Verlegenheit gesetzt, gleichzeitig aber mit völliger Bereitwilligkeit, auf alle anderen Fragen zu antworten.
Seine schwarzen, glanzlosen Augen waren unverwandt mit einem ruhigen, aber gutherzigen, freundlichen Blicke auf Stawrogin gerichtet.
»Ich habe jedenfalls Verständnis dafür, daß man sich erschießen kann,« begann mit etwas finsterem Gesichte Nikolai Wsewolodowitsch von neuem nach einem langen, wohl drei Minuten währenden, nachdenklichen Stillschweigen. »Ich habe es mir selbst manchmal vorgestellt, und da hatte ich immer einen neuen Gedanken: wenn man nun eine Übeltat beginge oder besonders etwas Schmähliches, das heißt eine so gemeine und ... lächerliche Tat, daß die Menschheit tausend Jahre lang daran denken und einen verabscheuen würde, und dann auf einmal der Gedanke: ›ein einziger Schuß in die Schläfe, und alles ist vorbei!‹ Was kümmern einen dann noch die Menschen, und daß sie einen tausend Jahre lang verabscheuen werden, nicht wahr?«
»Sie nennen das einen neuen Gedanken?« sagte Kirillow, nachdem er eine kleine Weile nachgedacht hatte.
»Ich ... will ihn nicht schlechthin neu nennen ... Als ich einmal nachdachte, da kam mir dieser mir neue Gedanke zum Bewußtsein.«
»Der Gedanke kam Ihnen zum Bewußtsein?« wiederholte Kirillow. »Das ist gut. Es gibt viele Gedanken, die immer da sind und auf einmal neu werden. Das ist sicher. Es erscheint mir jetzt vieles so, als ob ich es zum erstenmal sähe.«
»Gesetzt, Sie hätten vorher auf dem Monde gelebt,« unterbrach ihn Stawrogin, der nicht auf ihn hingehört hatte und seinen eigenen Gedanken weiterspann, »und gesetzt, Sie hätten dort all solche lächerlichen Schändlichkeiten begangen; Sie wissen von hier aus genau, daß man dort tausend Jahre lang, ewig, auf dem Monde über Sie lachen und Ihren Namen verabscheuen wird; aber jetzt sind Sie hier und betrachten den Mond von hier aus: was kümmert Sie dann hier all das, was Sie dort angerichtet haben, und daß die dort Lebenden Sie tausend Jahre lang verabscheuen werden? Nicht wahr?«
»Ich weiß es nicht,« antwortete Kirillow; »ich bin nicht auf dem Monde gewesen,« fügte er ohne Ironie hinzu, nur zur Feststellung der Tatsache.
»Wem gehörte denn das Kind von vorhin?«
»Die Schwiegermutter der alten Frau ist angekommen; nein, ihre Schwiegertochter ... ganz egal. Vorgestern. Sie liegt krank, mit dem Kinde; nachts schreit es sehr; der Magen. Die Mutter schläft; aber die alte Frau bringt es her; ich spiele Ball. Der Ball ist aus Hamburg. Ich habe ihn in Hamburg gekauft, um damit zu werfen und ihn zu fangen; das stärkt den Rücken. Ein kleines Mädchen.«
»Sie haben Kinder gern?«
»O ja,« antwortete Kirillow, jedoch in ziemlich gleichgültigem Tone.
»Also lieben Sie auch das Leben?«
»Ja, auch das Leben; wieso?«
»Wenn Sie doch beabsichtigen, sich zu erschießen.«
»Nun und? Warum bringen Sie das zusammen? Das Leben ist eine Sache für sich und das andere auch. Das Leben existiert; aber der Tod existiert gar nicht.«
»Sie haben angefangen, an ein künftiges ewiges Leben zu glauben?«
»Nein, nicht an ein künftiges ewiges Leben, sondern an ein ewiges Leben hier. Es gibt Augenblicke, man gelangt zu Augenblicken, wo die Zeit auf einmal stehen bleibt und zur Ewigkeit wird.«
»Und Sie hoffen zu einem solchen Augenblicke zu gelangen?«
»Ja.«
»Das ist in unserer Zeit wohl kaum möglich,« erwiderte Nikolai Wsewolodowitsch langsam und nachdenklich und ebenfalls ohne alle Ironie. »In der Offenbarung St. Johannis schwört der Engel, daß es keine Zeit mehr geben wird.«
»Ich weiß. Das ist da sehr richtig gesagt, klar und genau. Sobald ein jeder Mensch das Glück erreicht hat, wird es keine Zeit mehr geben, weil sie dann nicht mehr nötig ist. Ein sehr richtiger Gedanke.«
»Wohin wird denn die Zeit versteckt werden?«
»Nirgendshin. Die
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