Die Dämonen
führten, nicht lange vor Ihrer Abreise nach Amerika ... Wenigstens soweit ich mich jetzt erinnern kann.«
»Das ist ganz und gar Ihr Gedanke und nicht der meinige. Ihr eigener Gedanke, und nicht etwa nur der Schluß unseres Gespräches. Ein ›von uns beiden geführtes‹ Gespräch hat überhaupt nicht stattgefunden: es war ein Lehrer da, der gewaltige Worte verkündete, und es war ein Schüler da, der in geistigem Sinne von den Toten auferstand. Ich war jener Schüler und Sie der Lehrer.«
»Aber wenn ich mich recht erinnere, so traten Sie gerade nach meinen Worten in jenen Bund ein und fuhren erst dann nach Amerika.«
»Ja, und ich habe Ihnen darüber aus Amerika geschrieben; ich habe Ihnen über all das geschrieben. Ja, ich konnte mich nicht blutend von allem losreißen, womit ich seit meiner Kindheit verwachsen war, von allem, worauf ich voll Entzücken gehofft und worüber ich voll Haß geweint hatte. Es fällt dem Menschen schwer, seine Götter zu wechseln. Ich glaubte Ihnen damals nicht, weil ich Ihnen nicht glauben wollte, und klammerte mich zum letztenmal an diese Mistgrube ... Aber der Same blieb und wuchs. Im Ernst, sagen Sie im Ernst, haben Sie meinen Brief aus Amerika nicht durchgelesen? Vielleicht haben Sie ihn überhaupt nicht gelesen?«
»Ich habe davon drei Seiten gelesen, die beiden ersten und die letzte, und habe außerdem die Mitte flüchtig überblickt. Übrigens hatte ich immer vor ...«
»Ach, es ist ja ganz gleichgültig; weg damit; zum Teufel!« wehrte Schatow ab. »Wenn Sie jetzt von Ihren damaligen Ansichten über dieses Volk zurückgetreten sind, wie konnten Sie sie dann damals so energisch aussprechen? Das ist es, was mich jetzt niederdrückt.«
»Ich habe auch damals nicht mit Ihnen gescherzt; wenn ich Sie zu überzeugen suchte, so mühte ich mich dabei mit mir selbst vielleicht noch mehr ab als mit Ihnen,« antwortete Stawrogin rätselhaft.
»Sie haben nicht gescherzt! In Amerika habe ich drei Monate neben einem Unglücklichen auf Stroh gelegen und von ihm erfahren, daß Sie zu derselben Zeit, wo Sie mir Gott und das Vaterland ins Herz pflanzten, daß Sie zu derselben Zeit, ja vielleicht in denselben Tagen das Herz dieses Unglücklichen, dieser Drahtpuppe, dieses Kirillow vergiftet haben. Sie haben ihn in der Unwahrheit und Lüge bestärkt und seinen Verstand zur Raserei gebracht ... Gehen Sie hin, und sehen Sie ihn sich jetzt an; er ist Ihr Werk ... Übrigens haben Sie ihn ja gesehen.«
»Erstens muß ich Ihnen bemerken, daß Kirillow mir soeben selbst gesagt hat, er sei glücklich und gut. Ihre Annahme, daß dies alles zu derselben Zeit vorgegangen sei, ist ziemlich richtig; aber was folgt daraus? Ich wiederhole: ich habe weder Sie noch ihn getäuscht.«
»Sind Sie Atheist? Sind Sie jetzt Atheist?«
»Ja.«
»Waren Sie es auch damals?«
»Genau ebenso wie jetzt.«
»Ich habe Sie bei Beginn unseres Gespräches nicht um Achtung vor meiner Person gebeten; bei Ihrem Verstande könnten Sie das begreifen,« murmelte Schatow unwillig.
»Ich bin nicht bei Ihren ersten Worten aufgestanden; ich habe das Gespräch nicht abgebrochen; ich bin nicht von Ihnen weggegangen; ich sitze bis jetzt hier und antworte friedlich auf Ihre Fragen und auf Ihr ... Anschreien; also habe ich es Ihnen gegenüber nicht an Achtung fehlen lassen.«
Schatow unterbrach ihn mit einer abwehrenden Handbewegung:
»Erinnern Sie sich an Ihren Ausdruck: ›Ein Atheist kann nicht Russe sein‹, ›Ein Atheist hört sofort auf, Russe zu sein‹? Erinnern Sie sich daran?«
»Ja?« erwiderte Nikolai Wsewolodowitsch in fragendem Tone.
»Sie fragen? Sie haben es vergessen? Und doch war das einer der feinsten Hinweise auf eine der wichtigsten Eigenheiten des russischen Geistes, die Sie richtig erkannt hatten. Das haben Sie nicht vergessen können! Ich will Sie an noch mehr erinnern: Sie sagten damals: ›Wer nicht zur rechtgläubigen Kirche gehört, kann nicht Russe sein‹.«
»Ich meine, das ist ein Gedanke der Slawophilen.«
»Nein, die heutigen Slawophilen lehnen ihn ab. Heute ist das Volk klüger geworden. Aber Sie gingen noch weiter: Sie glaubten, daß der römische Katholizismus kein Christentum mehr sei; Sie behaupteten, Rom habe einen Christus verkündet, der der dritten Versuchung des Teufels erlegen sei, und wenn der Katholizismus der ganzen Welt gepredigt habe, daß Christus ohne ein weltliches Reich auf Erden nicht bestehen könne, so habe er eben damit den Antichrist gepredigt und dadurch die ganze
Weitere Kostenlose Bücher