Die Dämonen
den Unterschied zwischen Gut und Böse verlernt, weil Sie aufgehört haben, Ihr Volk zu kennen ... Es wird eine neue Generation kommen, unmittelbar aus dem Herzen des Volkes, und wir alle werden sie nicht erkennen, weder Sie noch die Werchowenskis Vater und Sohn, noch auch ich, da ich ebenfalls ein Herrensohn bin, ich, der Sohn Ihres leibeigenen Lakaien Pawel ... Hören Sie, suchen Sie zu Gott durch Arbeit zu gelangen; darin liegt der Kern der Sache; oder Sie werden verschwinden wie gemeiner Schimmel; suchen Sie durch Arbeit zu ihm zu gelangen!«
»Durch Arbeit zu Gott? Durch was für Arbeit?«
»Durch Bauernarbeit. Wohlan, werfen Sie Ihren Reichtum von sich! ... Ah, Sie lachen; Sie meinen, es läuft auf einen Spaß hinaus?«
Aber Stawrogin lachte nicht.
»Sie glauben, daß man zu Gott durch Arbeit gelangen kann, und speziell durch Bauernarbeit?« fragte er nach einigem Nachdenken, wie wenn ihm da wirklich ein neuer, ernster Gedanke entgegengetreten wäre, welcher Erwägung verdiente. »Apropos,« fuhr er, plötzlich auf einen anderen Gegenstand übergehend, fort, »Sie haben mich soeben daran erinnert: wissen Sie auch wohl, daß ich keineswegs reich bin, so daß ich gar nichts von mir zu werfen brauche? Ich bin kaum imstande, Marja Timofejewnas Zukunft sicherzustellen ... Und nun noch eins: ich war hergekommen, um Sie zu bitten, daß Sie, wenn es Ihnen möglich wäre, auch in Zukunft Marja Timofejewna nicht verlassen möchten, da Sie der einzige sind, der einigen Einfluß auf ihren armen Geist haben kann. Ich sage das für alle Fälle.«
»Gut, gut, Sie sprechen von Marja Timofejewna,« erwiderte Schatow und machte nur mit der einen Hand eine abwehrende Bewegung, da er in der andern das Licht hielt. »Gut, das versteht sich dann von selbst ... Hören Sie, gehen Sie doch einmal zu Tichon!«
»Zu wem?«
»Zu Tichon. Tichon ist ein früherer Bischof; er lebt krankheitshalber im Ruhestande, hier in der Stadt, in unserem Jefimjewski-Bogorodski-Kloster.«
»Was soll ich da?«
»Nichts Besonderes. Es kommen viele Leute zu ihm, zu Fuß und zu Wagen. Gehen Sie doch auch hin; warum nicht? Was hindert Sie?«
»Ich höre das zum erstenmal, und ... ich bin mit solchen Menschen noch nie zusammengekommen. Ich danke Ihnen; ich werde hingehen.«
»Hierher!« Schatow leuchtete auf der Treppe. »So, nun gehen Sie!« Er öffnete das Pförtchen, das nach der Straße führte.
»Ich werde nicht wieder zu Ihnen kommen, Schatow,« sagte Stawrogin leise, als er durch das Pförtchen schritt.
Die Dunkelheit und der Regen waren unverändert geblieben.
Fußnoten
1 Siehe die Anmerkung auf S. 17.
2 Anführer rebellischer Kosaken, im Jahre 1671 hingerichtet.
Anmerkung des Übersetzers.
Zweites Kapitel.
Die Nacht (Fortsetzung).
I.
Er ging die ganze Bogojawlenskaja-Straße entlang; endlich senkte sich der Weg; die Füße wateten im Schmutz, und auf einmal tat sich ein weiter, nebliger, anscheinend leerer Raum auf: der Fluß. Die Häuser verwandelten sich in Hütten; die Straße verlor sich in einer Menge unordentlicher Gäßchen. Nikolai Wsewolodowitsch ging längere Zeit an Zäunen hin, ohne sich vom Ufer zu entfernen; aber er verfolgte mit Sicherheit seinen Weg und dachte sogar kaum an ihn. Er war mit ganz anderen Gedanken beschäftigt und blickte erstaunt um sich, als er, aus seiner Versonnenheit zu sich kommend, bemerkte, daß er sich beinah auf der Mitte unserer langen, nassen Schiffbrücke befand. Ringsum war kein Mensch zu sehen, so daß es ihm sonderbar erschien, als sich plötzlich, beinahe dicht an seinem Ellbogen, eine höflich-familiäre, übrigens ziemlich angenehme Stimme mit jener süßlichen, skandierenden Aussprache hören ließ, mit der bei uns sehr kultivierte Kleinbürger oder junge lockige Handlungskommis sich ein Air zu geben suchen.
»Erlauben Sie wohl, mein Herr, daß ich Ihren Schirm mitbenutze?«
Und wirklich schlüpfte eine Gestalt unter seinen Schirm oder stellte sich wenigstens so, als ob sie es tun wollte. Der Landstreicher ging neben ihm her und nahm beinah »Fühlung mit dem Ellbogen«, wie die Soldaten sich ausdrücken. Nikolai Wsewolodowitsch verlangsamte seinen Schritt und bog sich ein wenig zur Seite, um den Menschen anzusehen, soweit das in der Dunkelheit möglich war: er war von kleiner Statur und machte den Eindruck eines verlotterten Kleinbürgers; sein Anzug war nicht warm und dabei nachlässig; auf dem strubbligen, krausen Kopfe saß eine nasse Tuchmütze mit
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