Die Dämonen
halb abgerissenem Schirme. Wie es schien, war er kräftig und mager, mit dunklem Haar und dunkler Hautfarbe; seine Augen waren groß, sicherlich schwarz, mit dem starken Glanze und gelblichen Schimmer, den man oft bei Zigeunern findet; das ließ sich sogar in der Dunkelheit erraten. Er mochte etwa vierzig Jahre alt sein; betrunken war er nicht.
»Du kennst mich?« fragte Nikolai Wsewolodowitsch.
»Herr Stawrogin, Nikolai Wsewolodowitsch; Sie wurden mir auf dem Bahnhofe, als der Zug angekommen war, gezeigt. Außerdem habe ich früher von Ihnen gehört.«
»Durch Peter Stepanowitsch? Du ... du bist der Sträfling Fedka?«
»Getauft bin ich Fjodor 1 Fjodorowitsch; bis jetzt habe ich noch meine leibliche Mutter hier in der Gegend wohnen; sie ist eine gottesfürchtige alte Frau, ganz gebückt; sie betet für mich Tag und Nacht, um so ihre alten Tage nicht nutzlos auf dem Ofen zuzubringen.«
»Du bist von der Zwangsarbeit weggelaufen?«
»Ich habe meine Lage verändert. Ich hatte Bücher und Glocken und Kirchengeräte zu Gelde gemacht; dafür war ich zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt worden und hätte also etwas lange warten müssen, bis ich freigekommen wäre.«
»Was tust du denn hier?«
»Ich sehe zu, wie Tag und Nacht abwechseln. Mein Onkel ist letzte Woche auch im hiesigen Gefängnis gestorben, wegen falschen Geldes; da habe ich, um ihm eine Gedächtnisfeier zu veranstalten, ein paar Dutzend Steine nach Hunden geworfen; weiter habe ich bis jetzt noch nichts getan. Außerdem hat mir Peter Stepanowitsch einen Paß, zum Beispiel als Kaufmann, durch ganz Rußland in Aussicht gestellt; da warte ich nun darauf, wann er so freundlich sein wird. ›Denn‹, sagt er, ›mein Papa hat dich damals im Englischen Klub im Kartenspiel verloren, und ich‹, sagt er, ›finde diese Unmenschlichkeit ungerecht.‹ Möchten Sie mir nicht drei Rubel schenken, gnädiger Herr, damit ich mich mit Tee erwärmen kann?«
»Du hast mir also hier aufgepaßt; ich kann so etwas nicht leiden. Wer hat dich dazu angewiesen?«
»Angewiesen hat mich niemand dazu; bloß weil ich Ihre Menschenfreundlichkeit kenne, die ja allen Leuten bekannt ist. Meine Einnahmen sind, wie Sie sich denken können, Luft, wenn mir nicht gelegentlich etwas an den Fingern hängen bleibt. Am Freitag habe ich mich an Kuchen satt gegessen wie Martyn an Seife; aber seitdem habe ich einen Tag nichts gegessen, den andern gehungert und am dritten wieder nichts gegessen. Wasser ist ja im Flusse, soviel man nur will; da habe ich mir eine Karauschenzucht im Bauch angelegt. Also wollen Euer Gnaden nicht mildtätig sein? Ich habe hier gerade in der Nähe eine Gevatterin wohnen; man darf sich bloß bei ihr nicht ohne Geld blicken lassen.«
»Was hat dir denn Peter Stepanowitsch von mir versprochen?«
»Versprochen hat er mir eigentlich nichts; er hat mir nur so gesprächsweise gesagt, ich könnte Euer Gnaden vielleicht einmal nützlich sein, wenn es sich so träfe; aber worin, das hat er nicht deutlich gesagt; denn Peter Stepanowitsch prüft mich in der Geduld und hat zu mir kein Vertrauen.«
»Wieso denn?«
»Peter Stepanowitsch ist ein Astronom und kennt alle Planeten, die Gott geschaffen hat; aber alles weiß er doch auch nicht. Ich rede zu Ihnen ganz aufrichtig, gnädiger Herr, weil ich viel von Ihnen gehört habe. Peter Stepanowitsch ist eine Art Mensch, und Sie, gnädiger Herr, eine andere Art. Wenn der von jemand sagt: ›er ist ein Schuft‹, so sieht er in ihm weiter nichts als einen Schuft. Oder wenn er sagt: ›er ist ein Dummkopf‹, dann hat er von ihm keine andere Vorstellung, als daß er ein Dummkopf ist. Aber ich bin vielleicht am Dienstag oder Mittwoch nur ein Dummkopf und doch am Donnerstag klüger als er. Da weiß er nun jetzt über mich, daß ich große Sehnsucht nach einem Passe habe (denn in Rußland kann man ohne einen solchen Ausweis nichts anfangen), und da denkt er denn, er habe meine Seele gefangen. Ich will Ihnen sagen, gnädiger Herr: Peter Stepanowitsch macht sich das Leben auf der Welt sehr leicht; denn er macht sich von einem Menschen selbst in seinem Kopfe eine bestimmte Vorstellung zurecht und behandelt ihn dann fortwährend auf Grund dieser Vorstellung. Außerdem ist er sehr geizig. Er ist der Meinung, ich würde es nicht wagen, mich mit Übergehung seiner eigenen Person an Sie zu wenden; aber ich will Ihnen, gnädiger Herr, in aller Aufrichtigkeit sagen: dies ist schon die vierte Nacht, daß ich Euer Gnaden auf dieser Brücke
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