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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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her. Irgendwelchen Groll konnte er gegen Herrn Gaganow nicht haben. Man hätte dies für einen reinen Schülerstreich, selbstverständlich allerdings für einen unverzeihlichen, halten können; aber Nikolai war, wie später erzählt wurde, im Augenblick der Tat fast nachdenklich, »wie wenn er den Verstand verloren gehabt hätte«; indes war es erst später, daß man sich daran erinnerte und sich darüber klar wurde. In der ersten Erregung erinnerten sich alle nur an den zweiten Augenblick, wo Nikolai das Getane sicherlich schon in seiner wahren Gestalt begriffen hatte, aber statt verlegen zu werden vielmehr im Gegenteil boshaft und heiter lächelte, »ohne die geringste Reue«. Es erhob sich ein schrecklicher Lärm; man umringte ihn. Nikolai Wsewolodowitsch drehte sich nach allen Seiten um und sah alle an, gab aber niemandem eine Antwort und betrachtete neugierig die Gesichter der ihn Anschreienden. Endlich machte er plötzlich, wie wenn er wieder nachdenklich würde (so erzählte man wenigstens), ein finsteres Gesicht, ging festen Schrittes auf den beleidigten Peter Pawlowitsch zu und murmelte hastig und anscheinend verdrossen:
    »Sie entschuldigen wohl ... Ich weiß wirklich nicht, wie ich auf einmal Lust dazu bekam ... Es war eine Dummheit ...«
    Die Nachlässigkeit der Entschuldigung kam einer neuen Beleidigung gleich. Ein noch ärgeres Geschrei erhob sich. Nikolai Wsewolodowitsch zuckte mit den Achseln und ging hinaus.
    Dies alles war sehr dumm, um noch nicht von der Unanständigkeit zu reden, einer, wie es auf den ersten Blick schien, wohlüberlegten, beabsichtigten Unanständigkeit, die somit eine beabsichtigte, im höchsten Grade freche Beleidigung unserer ganzen Gesellschaft bildete. So wurde die Sache denn auch allgemein aufgefaßt. Das erste war, daß man unverzüglich und einmütig Herrn Stawrogin aus dem Klub ausschloß; dann beschloß man, sich im Namen des ganzen Klubs an den Gouverneur zu wenden und ihn zu bitten, er möge sofort, ohne ein formelles Gerichtsverfahren abzuwarten, »den gemeingefährlichen Händelsucher und großstädtischen Raufbold mittels der ihm anvertrauten Administrativgewalt unschädlich machen und so die Ruhe der gesamten anständigen Gesellschaft unserer Stadt gegen dreiste Angriffe schützen.« Mit boshafter Harmlosigkeit wurde noch hinzugefügt, »es werde sich vielleicht auch gegen Herrn Stawrogin ein Gesetz finden lassen.« Gerade diese Wendung hatte man für den Gouverneur ausgesucht, um ihm wegen seiner Beziehungen zu Warwara Petrowna einen Stich zu versetzen. Das besprach man mit vielem Vergnügen. Es traf sich, daß der Gouverneur damals nicht in der Stadt war; er war nicht weit davon zur Kindtaufe zu einer netten, kürzlich Witwe gewordenen Dame gefahren, die ihr Mann in interessanten Umständen zurückgelassen hatte; aber man wußte, daß er bald zurückkehren werde. In der Zwischenzeit bereitete man dem allgemein verehrten, beleidigten Peter Pawlowitsch eine vollständige Ovation: man umarmte und küßte ihn; die ganze Stadt machte bei ihm Visite. Man plante sogar ihm zu Ehren ein Diner auf Subskription und nahm nur auf seine dringenden Bitten von diesem Gedanken wieder Abstand, vielleicht weil man sich schließlich sagte, der Mann habe sich ja doch an der Nase herumziehen lassen, und es sei somit kein Anlaß, ihn besonders zu feiern.
    Aber wie, wie war das nur zugegangen? Wie hatte das nur geschehen können? Bemerkenswert war namentlich der Umstand, daß niemand bei uns in der ganzen Stadt dieses rohe Benehmen auf Wahnsinn zurückführte; denn man meinte, sich von Nikolai Wsewolodowitsch, auch wenn er bei Verstande sei, solcher Handlungen versehen zu müssen. Ich für meine Person weiß noch bis auf den heutigen Tag nicht, wie ich mir die Sache erklären soll, trotzdem ein bald danach stattfindender Vorfall alles zu erklären schien und alle anscheinend versöhnlich stimmte. Ich füge noch hinzu, daß vier Jahre nachher Nikolai Wsewolodowitsch auf meine vorsichtige Frage nach jener Begebenheit im Klub mir mit finsterer Miene antwortete: »Ja, ich war damals nicht ganz wohl.« Aber es liegt kein Grund vor, der Erzählung vorzugreifen.
    Interessant war mir auch der Ausbruch des allgemeinen Hasses, mit dem alle bei uns damals über den »Händelsucher und großstädtischen Raufbold« herfielen. Sie wollten in seinem Verhalten unbedingt einen frechen Vorsatz und die wohlüberlegte Absicht, die ganze Gesellschaft mit einem Mal zu beleidigen, sehen. In der Tat hatte er

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