Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
Vom Netzwerk:
während seines bisherigen Aufenthaltes sich niemanden zum Freunde gemacht, sondern im Gegenteil alle gegen sich aufgebracht; wodurch eigentlich? Vor diesem letzten Falle hatte er nie mit jemand Streit gehabt und niemanden beleidigt, sondern war so höflich gewesen wie ein Herr auf einem Modebilde, wenn man sich so ausdrücken darf. Ich nehme an, daß man ihn wegen seines Stolzes haßte. Sogar unsere Damen, die ihn anfangs vergöttert hatten, erhoben gegen ihn jetzt ein noch schlimmeres Verdammungsgeschrei als die Männer.
    Warwara Petrowna bekam einen furchtbaren Schreck. Sie gestand später ihrem Freunde Stepan Trofimowitsch, daß sie das alles längst geahnt habe, dieses ganze Halbjahr über, jeden Tag, und sogar etwas »gerade in dieser Art«, ein merkwürdiges Bekenntnis von seiten einer leiblichen Mutter. »Nun hat es angefangen!« dachte sie zusammenfahrend. Am Morgen nach dem verhängnisvollen Abend im Klub schickte sie sich vorsichtig, aber entschlossen zu einer Aussprache mit ihrem Sohne an; aber trotz ihrer Entschlossenheit zitterte die Ärmste an allen Gliedern. Sie hatte die ganze Nacht nicht geschlafen und war sogar am frühen Morgen zu Stepan Trofimowitsch gegangen, um ihn um Rat zu fragen, und hatte bei ihm geweint, was ihr noch nie in Gegenwart anderer begegnet war. Sie wünschte, Nikolai möchte ihr wenigstens ein Wort über die Sache sagen, sie einer erklärenden Mitteilung würdigen. Nikolai, der sich sonst immer gegen seine Mutter so höflich und respektvoll benahm, hörte sie eine Weile mit finsterem Gesichte, aber sehr ernst an; auf einmal stand er, ohne ein Wort zu erwidern, auf, küßte ihr die Hand und ging hinaus. Gleich an demselben Tage aber, als wenn es Absicht gewesen wäre, erfolgte abends noch eine andere Skandalgeschichte, die zwar erheblich zahmer und gewöhnlicher war als die erste, aber nichtsdestoweniger infolge der allgemeinen Stimmung das Gerede in der Stadt sehr vermehrte.
    Diesmal war unser Freund Liputin der davon Betroffene. Er kam zu Nikolai Wsewolodowitsch, gleich nachdem dieser die Begegnung mit seiner Mutter gehabt hatte, und bat ihn inständigst, ihm an diesem selben Tage die Ehre seines Besuches zu einer kleinen Abendgesellschaft zu erweisen, die bei ihm anläßlich des Geburtstages seiner Frau stattfinde. Warwara Petrowna hatte schon lange mit Unruhe und Besorgnis die niedrige Geschmacksrichtung beobachtet, die ihr Sohn bei der Wahl seiner Bekanntschaften bekundete, wagte aber nicht, ihm etwas darüber zu sagen. Er hatte außer der in Rede stehenden Bekanntschaft auch schon einige andere ebenfalls in der dritten Gesellschaftsschicht unserer Stadt angeknüpft und sogar noch tiefer; dazu neigte er nun eben. Bei Liputin hatte er bisher noch nicht im Hause verkehrt, wiewohl er mit ihm selbst anderweitig zusammengetroffen war. Er erriet, daß Liputin ihn jetzt infolge des gestrigen Skandals im Klub einlade und als Liberaler sich über diesen Skandal höchlichst freue und aufrichtig der Ansicht sei, so müsse man alle Vorsteher des Klubs behandeln, und es sei sehr gut, daß ein Anfang gemacht sei. Nikolai Wsewolodowitsch lachte und versprach zu kommen.
    Es hatten sich eine Menge Gäste eingefunden, nicht vornehme, aber geistig rege Leute. Der selbstsüchtige, neidische Liputin gab nur zweimal im Jahre Gesellschaften; aber bei diesen beiden Gelegenheiten zeigte er sich dann auch nicht knauserig. Der ansehnlichste Gast, Stepan Trofimowitsch, war krankheitshalber nicht gekommen. Es wurde Tee gereicht; auch war ein reichlicher kalter Imbiß mit Likören aufgestellt; an drei Tischen wurde Karte gespielt; die Jugend aber amüsierte sich in Erwartung des Abendessens damit, nach dem Klavier zu tanzen. Nikolai Wsewolodowitsch forderte Madame Liputina auf, eine sehr hübsche Dame, die vor ihm schreckliche Bange hatte, und tanzte mit ihr einige Touren; dann setzte er sich neben sie, unterhielt sich mit ihr und brachte sie zum Lachen. Da er schließlich bemerkte, wie hübsch sie war, wenn sie lachte, faßte er sie plötzlich vor den Augen aller Gäste um die Taille und küßte sie dreimal hintereinander nach Herzenslust auf den Mund. Die arme Frau fiel vor Schreck in Ohnmacht. Nikolai Wsewolodowitsch ergriff seinen Hut, trat an den Ehemann heran, der in der allgemeinen Erregung wie betäubt dastand, wurde, als er ihn anblickte, ebenfalls verlegen, murmelte ihm schnell zu: »Seien Sie nicht böse!« und ging hinaus. Liputin lief ihm nach ins Vorzimmer, reichte ihm eigenhändig den Pelz

Weitere Kostenlose Bücher