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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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unvergleichlich viel angemessener, lügt nicht, macht keine Winkelzüge, sagt alles, was er weiß, sucht sich nicht weißzubrennen, gibt seine Schuld mit aller Bescheidenheit zu, neigt aber ebenfalls dazu, kunstvolle Reden zu halten; er spricht viel und gern, und wenn die Rede auf die Kenntnis des gewöhnlichen Volkes und seiner revolutionären (?) Elemente kommt, wirft er sich sogar in besondere Positur und hascht nach Effekt. Auch er beabsichtigt, wie man hört, vor Gericht zu reden. Überhaupt sind er und Liputin nicht besonders in Angst, was einem sonderbar erscheinen kann.
    Ich wiederhole: dieser Prozeß ist noch nicht beendet. Jetzt, drei Monate nach den Ereignissen, hat unsere Gesellschaft wieder Atem geschöpft, sich erholt, neue Kraft gesammelt und sich eine eigene Meinung gebildet, und zwar in der Weise, daß einige sogar Peter Stepanowitsch selbst beinah für ein Genie halten, mindestens für einen Menschen »mit genialen Fähigkeiten«. »Ein organisatorisches Talent!« sagen die Herren im Klub und heben dabei den Zeigefinger in die Höhe. Übrigens ist das alles sehr harmlos, und es sind auch nicht viele, die so reden. Andere sprechen ihm zwar hervorragende Fähigkeiten nicht ab, finden aber bei ihm eine vollständige Unkenntnis der Wirklichkeit, ein schreckliches Verranntsein in Theorien, eine ungeheuerliche, absurde Entwickelung nach einer Seite hin, mit einer sich davon herschreibenden außerordentlichen Leichtfertigkeit. Was seine moralische Qualitäten anlangt, so sind darüber alle einer Meinung; hier ist kein Streit möglich.
    Ich weiß wirklich nicht, wen ich noch erwähnen muß, um niemand zu vergessen. Mawriki Nikolajewitsch ist von hier irgendwohin für immer weggereist. Die alte Frau Drosdowa ist kindisch geworden ... Es bleibt mir jedoch noch eine sehr traurige Geschichte zu erzählen. Ich beschränke mich dabei auf die Tatsachen.
    Warwara Petrowna war bei ihrer Rückkehr in ihrem Stadthause abgestiegen. Nun stürmten alle Nachrichten, die sich aufgesammelt hatten, mit einem Male auf sie ein und erschütterten sie in furchtbarem Grade. Sie schloß sich allein ein. Es war Abend; alle waren müde geworden und legten sich früh schlafen.
    Am Morgen übergab die Zofe mit geheimnisvoller Miene Darja Pawlowna einen Brief. Sie sagte, der Brief sei schon am vorhergehenden Tage gekommen, aber erst spät, als alle sich bereits zur Ruhe begeben gehabt hätten, so daß sie nicht gewagt habe, das Fräulein zu wecken. Er sei nicht mit der Post gekommen, sondern in Skworeschniki von einem Unbekannten dem Kammerdiener Alexei Jegorowitsch übergeben worden. Alexei Jegorowitsch habe ihn sofort selbst noch am vorhergehenden Abend nach der Stadt gebracht und ihr eingehändigt und sei sogleich wieder nach Skworeschniki zurückgefahren.
    Darja Pawlowna betrachtete den Brief lange mit Herzklopfen und wagte ihn nicht zu erbrechen. Sie wußte, von wem er war: Nikolai Stawrogin hatte ihn geschrieben. Sie las die Adresse auf dem Kuvert: »An Alexei Jegorowitsch, zur Übergabe an Darja Pawlowna, geheim.«
    Da ist dieser Brief, Wort für Wort, ohne die geringste Korrektur der Stilfehler eines jungen russischen Edelmannes, der trotz aller seiner westeuropäischen Bildung das Russische nicht vollständig beherrschte:
     
    »Liebe Darja Pawlowna!
     
    Sie wollten einmal zu mir als Krankenwärterin und nahmen mir das Versprechen ab, Sie zu rufen, sobald es nötig sein werde. Ich fahre in zwei Tagen ab und komme nie mehr zurück. Wollen Sie mit?
    Im vorigen Jahre habe ich wie Herzen das Bürgerrecht im Kanton Uri erworben, und niemand weiß dies. Ich habe dort schon ein kleines Haus gekauft. Ich besitze noch zwölftausend Rubel; wir wollen hinfahren und dort lebenslänglich wohnen bleiben. Ich will niemals von dort fortreisen.
    Der Ort ist sehr langweilig, eine Schlucht; die Berge beschränken den Gesichtskreis und die Gedanken. Es ist ein sehr düsterer Platz. Ich habe das kleine Haus gekauft, weil es gerade zu haben war. Wenn es Ihnen nicht gefällt, werde ich es wieder verkaufen und in einer andern Gegend ein anderes kaufen.
    Ich bin nicht wohl; aber ich hoffe, in der dortigen Luft meine Halluzinationen loszuwerden. Das ist physisch; mein Seelenleben kennen Sie; aber ob vollständig?
    Ich habe Ihnen vieles aus meinem Leben erzählt. Aber nicht alles. Selbst Ihnen nicht alles! Apropos, ich erkenne an, daß ich vor meinem Gewissen an dem Tode meiner Frau schuld bin. Ich habe Sie seitdem nicht gesehen, und daher erkenne ich

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