Die Dämonen
Semmel; aber nachdem sie sie eine Weile in der linken Hand gehalten hatte, ließ sie sich durch das neu in Gang kommende Gespräch fesseln und legte sie, ohne abgebissen zu haben, wieder auf den Tisch; sie war sich dieser Handlungen gar nicht bewußt geworden.
»Es kommt immer dasselbe heraus: eine Reise, ein böser Mensch, eine Hinterlist jemandes, ein Sterbebett, ein Brief von irgendwoher, eine unerwartete Nachricht, – ich meine, das ist alles Lug und Trug; wie denkst du darüber, lieber Schatow? Wenn die Menschen lügen, warum sollten die Karten nicht auch lügen?« Sie mischte die Karten. »Dasselbe sagte ich auch einmal zu Mutter Praskowja; das war eine sehr achtbare Frau, die kam immer zu mir in meine Zelle gelaufen, um sich ohne Wissen der Mutter Äbtissin Karten legen zu lassen. Und es kamen auch noch andere mit ihr mitgelaufen. Da sagten sie nun ›Ach!‹ und ›Oh!‹ und wiegten die Köpfe hin und her und redeten und schwatzten; aber ich lachte: ›Na, Mutter Praskowja,‹ sagte ich, ›wie werden Sie denn einen Brief bekommen, wenn zwölf Jahre lang keiner angekommen ist?‹ Ihre Tochter hatte der Mann derselben irgendwohin in die Türkei mitgenommen, und es war zwölf Jahre lang nichts von ihr zu hören gewesen. Aber da saß ich am folgenden Tage abends zum Tee bei der Mutter Äbtissin (sie war aus einer fürstlichen Familie), und bei ihr saß auch eine Dame von auswärts, eine große Phantastin, und auch ein Mönch vom Berge Athos, ein sehr komischer Mensch nach meiner Ansicht. Und was meinst du wohl, lieber Schatow? Dieser selbe Mönch hatte an demselben Morgen der Mutter Praskowja aus der Türkei von ihrer Tochter einen Brief gebracht, – siehst du, da ist Karo-Bube, eine unerwartete Nachricht! Also wir tranken da Tee, und der Mönch vom Athos sagte zur Mutter Äbtissin: ›Und am allermeisten, ehrwürdige Mutter Äbtissin, hat Gott Ihr Kloster dadurch gesegnet, daß Sie einen so kostbaren Schatz in seinen Mauern bewahren.‹ ›Was für einen Schatz?‹ fragte die Mutter Äbtissin. ›Die gottwohlgefällige Mutter Lisaweta,‹ antwortete der Mönch. Diese gottwohlgefällige Mutter Lisaweta war in der Umfassungsmauer des Klosters eingemauert, in einem Käfig, der drei Ellen lang und zwei Ellen hoch war, und saß da hinter einem eisernen Gitter schon siebzehn Jahre, Sommer und Winter im bloßen hänfenen Hemde, und stach immer mit einem Strohhalm oder einem Stöckchen in ihr Hemd, in die Leinwand, hinein und redete nichts und kämmte sich nicht und wusch sich nicht, die ganzen siebzehn Jahre lang. Im Winter schob man ihr einen Schafpelz durchs Gitter und alle Tage ein Körbchen mit Brot und einen Krug Wasser. Die Wallfahrer sahen sie an, staunten, seufzten und legten Geld hin. ›Na, ja, ein schöner Schatz,‹ versetzte die Mutter Äbtissin (sie ärgerte sich; denn sie konnte Lisaweta gar nicht leiden); ›Lisaweta sitzt da nur aus Bosheit, nur aus Eigensinn; es ist alles nur Verstellung.‹ Das gefiel mir nicht; ich wollte mich damals selbst einsperren lassen. ›Meiner Ansicht nach‹, sagte ich, ›ist Gott und die Natur ein und dasselbe.‹ Da riefen sie alle wie aus einem Munde: ›Aber so etwas!‹ Die Äbtissin lachte, fing an mit der fremden Dame zu flüstern, rief mich zu sich und streichelte mich, und die Dame schenkte mir ein rosa Band; wenn du willst, werde ich es dir zeigen. Na, und der Mönch hielt mir eine belehrende Rede und sprach so freundlich und ruhig und gewiß auch sehr verständig, und ich saß da und hörte zu. ›Hast du es verstanden?‹ fragte er. ›Nein,‹ antwortete ich, ›ich habe nichts verstanden; lassen Sie mich nur ganz in Ruhe!‹ Seitdem ließen sie mich ganz in Ruhe, lieber Schatow. Aber als ich einmal aus der Kirche kam, da flüsterte mir eine unserer Nonnen, die bei uns Buße tun mußte für ihre Weissagungen, leise zu: ›Was ist die Muttergottes? Was meinst du?‹ ›Die Muttergottes‹, antwortete ich, ›ist die Hoffnung des Menschengeschlechtes.‹ ›Ja,‹ sagte sie, ›die Muttergottes ist die kühle Mutter Erde, und sie schließt für den Menschen große Freude ein. Und jeder irdische Kummer und jede irdische Träne wird uns zur Freude; und wenn du mit deinen Tränen die Erde unter dir eine halbe Elle tief getränkt haben wirst, dann wirst du dich sogleich über alles freuen. Und du wirst keinen, gar keinen Kummer mehr haben,‹ sagte sie; ›eine solche Prophezeiung gibt es.‹ Dieses Wort prägte sich mir damals ein. Seitdem fing ich an, beim
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