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Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Titel: Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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nahm ich mir natürlich die sogenannten soliden und vollständigen Versionen vor. Ausführlich bis an die Grenzen der Redundanz und mitunter auch darüber hinaus. Dabei wich die Leidenschaft einer kalten Betrachtung und die wilde Hingabe einer Art ehelicher Verpflichtung. Wenn du weißt, was ich meine.«
    Nimue bestätigte mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken, dass sie es wusste.
    »Zusammenfassend gesagt, ziehe ich die Legenden vor, die sich stärker an die Regeln der Legende halten, nicht Sagen mit der Wirklichkeit vermengen, nicht versuchen, die einfache und geradlinige Märchenmoral mit der zutiefst amoralischen historischen Wahrheit zu vereinbaren. Ich ziehe Legenden vor, zu denen Enzyklopädisten, Archäologen und Historiker keine Nachworte schreiben. Solche, deren Konvention frei von Experimenten ist. Ich ziehe es vor, wenn der Prinz auf den Gipfel des Gläsernen Berges steigt, die schlafende Königstochter küsst, diese erwacht und beide danach lange und glücklich leben. So und nicht anders muss eine Legende enden   … Von wem stammt dieses Porträt Ciris? Das
en pied

    »Es gibt kein einziges Porträt Ciris.« Die Stimme der kleinen Zauberin war sachlich bis zur Fühllosigkeit. »Weder hier noch sonstwo auf der Welt. Es ist kein einziges Porträt erhalten geblieben, keine einzige Miniatur, die jemand gemalt hätte, der Ciri gekannt oder gesehen haben könnte oder sich wenigstens an sie erinnerte. Das Porträt
en pied
stellt Pavetta dar, Ciris Mutter, und gemalt hat es der Zwerg Ruiz Dorrit, der Hofmaler der Herrscher von Cintra. Es ist bekannt, dass Ruiz Ciri im Alter von zehn Jahren porträtiert hat, ebenfalls
en pied
, doch das Gemälde, das ›Die Infantin mit dem Windspiel‹ hieß, ist leider verlorengegangen. Aber zurück zu der Legende und zu deiner Beziehung zu ihr. Und dazu, wie die Legende deiner Meinung nach enden sollte.«
    »Sie muss ein gutes Ende nehmen«, sagte Condwiramurs voller störrischer Überzeugung. »Das Gute und Gerechte muss triumphieren, das Böse exemplarisch bestraft werden, die Liebe die Liebenden bis ans Ende ihres Lebens vereinen. Und keiner von den positiven Helden darf, verdammt nochmal, umkommen! Aber die Legende von Ciri? Wie endet sie?«
    »Eben: wie?«
    Für einen Augenblick verschlug es Condwiramurs die Sprache. Solch eine Frage hatte sie nicht erwartet, sie witterte einen Test, ein Examen, eine Falle. Sie schwieg, wollte sich nicht aufs Glatteis führen lassen.
    Wie endete die Geschichte von Geralt und Ciri? Das wusste doch jeder.
    Sie blickte auf ein in dunklen Tönen gehaltenes Aquarell, das einen unförmigen Kahn darstellte, der über die Fläche eines dunstverhangenen Sees glitt, einen Kahn, den mit einer langen Stake eine Frau vorantrieb, die nur als schwarzer Umriss zu sehen war.
    So endete jene Legende. Genau so.
    Nimue las ihre Gedanken. »Das ist nicht so sicher, Condwiramurs. Das ist überhaupt nicht so sicher.«
     
    »Die Legende«, begann Nimue, »habe ich aus dem Munde eines wandernden Märchenerzählers gehört. Ich bin ein Kind vom Dorfe, die vierte Tochter eines Stellmachers. Die Tage, an denen in unserem Dorf der Märchenerzähler Pfiffer zu Gast war, ein herumstreifender Bettler, waren die schönsten Augenblicke meiner Kindheit. Man konnte von der Plackerei ausruhen, mit den Augen der Seele jene Märchenwunder erblicken, jene ferne Welt   … Eine schöne und wundersame Welt   … Ferner und wundersamer sogar als der Jahrmarkt im neun Meilen entfernten Städtchen   …
    Ich war damals sechs, sieben Jahre alt. Meine älteste Schwester war vierzehn. Und sie war schon krumm, weil sie immerüber die Arbeit gebeugt war. Weiberlos! Darauf wurden die Mädchen bei uns von klein auf vorbereitet! Den Buckel krumm machen! Immerzu den Buckel krumm machen, über der Arbeit, über dem Kind, über dem schweren Bauch, den dir der Bauer machte, kaum dass du aus dem Wochenbett heraus warst   …
    Es waren diese Geschichten der Alten, die bewirkten, dass ich nach und nach etwas anderes wollte als einen krummen Buckel und Plackerei, dass ich von etwas anderem zu träumen begann als von der Ernte, einem Mann und Kindern. Das erste Buch, das ich mir vom Erlös im Walde eigenhändig gesammelter Brombeeren kaufte, war die Legende von Ciri. Eine, wie du es so schön gesagt hast, gereinigte Version für Kinder, ein Bruchstück
ad usum Delphini
. Für mich war es genau die richtige Fassung. Ich war schwach im Lesen. Doch schon damals wusste ich, was ich wollte. Ich

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