Die Delegation
Antworten wußten. Und dann hatten wir Szene um Szene protokolliert. Die erschreckende Beklemmung, die uns zu Beginn der Unternehmung bei jeder Vorführung befallen hatte, war der Routine gewichen.
Die Frage war nun: Durfte man das Material des Reporters Roczinski der Öffentlichkeit präsentieren? Ungeprüft wohl kaum.
Die befragten Fachleute und Wissenschaftler waren durchweg skeptisch, ärgerlich skeptisch – aber auch nachdenklich. »Was meinen Sie dazu, Herr Riedel?«
»Alles bleibt offen – das sehe ich positiv. Dem Leser, dem Zuschauer, werden keine Erklärungen aufgezwungen. Ein gefundenes Fressen zwar für Aberglauben und Spekulation, aber diese ›Reportage ohne Beweis und Antwort‹ vermittelt auf jeden Fall interessante Denkanstöße. Ich persönlich glaube nicht an eine Delegation von Außerirdischen, vor allem nicht an belebte Organismen, die in Raumschiffen lichtjahreweit durch unsere Galaxis reisen. Superzivilisationen haben vermutlich bessere Möglichkeiten.«
»Sie halten solche fernen Mächte also für wahrscheinlich?«
»Wir wissen heute zuverlässig, daß intelligentes Leben außerauf unserer Erde in unserem Sonnensystem nicht existiert, auf keinem unserer Nachbarplaneten.
Aber unsere Galaxis, unser Milchstraßensystem, hat einen Durchmesser von rund einhunderttausend Lichtjahren und beherbergt rund zweihundert Milliarden Sterne. Nicht jede dieser Sonnen wird Planeten besitzen, und nur die wenigsten dieser Planeten sind in der Lage, waren in der Lage, werden in der Lage sein, aufgrund chemischer und physikalischer Voraussetzungen, Leben zu entwickeln.
Und noch geringer wird die Zahl jener Planeten sein, auf denen sich intelligentes Leben ›in unserer Zeit‹ gebildet hat! Mit all diesen Einschränkungen bleibt der intelligenztragende Anteil an 200000000000 Sonnenmöglichkeiten allein in unserer Galaxis gigantisch groß – nicht Tausende, eher Hunderttausende – vielleicht Millionen.
Nur, die unvorstellbar großen Abstände zwischen unseren ›Nachbarn‹ und uns, aber auch untereinander, schließen einen persönlichen Kontakt mit großer Sicherheit aus.«
»Also ist das, was Roczinski gefilmt hat, reine Fiktion?«
»Vielleicht … Bisher habe ich nur das Protokoll gelesen. Jetzt bin ich auf die Filme gespannt. Das Wort unmöglich habe ich mir als Naturwissenschaftler abgewöhnt. Aber nur dort, wo ich die Beweiskette selber kontrollieren konnte, kann ich ein Urteil abgeben.«
»Gut, kontrollieren wir!«
21
Rolle eins:
Zweigeschossige Häuser, uniformer Pionierstil, weiß, rot oder grün lackiertes Holz, darüber ein Wald von Fernsehantennen und Telegrafenmasten.
Eingestreut: moderne Bauten, sechs, acht Stockwerke hoch, Glas und Beton und Stahl. Feuerleitern an den Fassaden, grelle Reklameaufschriften.
Die Kamera filmt aus einem fahrenden Taxi nach vorn. Die Hauptstraße durchschneidet die Stadt in einer geraden Linie, läuft steil bergab bis zum Zentrum, steigt auf der anderen Seite ebenso steil wieder an. Auf jeder Seite, in jeder Richtung, kriecht eine lückenlose Schlange dieser breiten, amerikanischen Wagen.
Roczinski sitzt neben dem Fahrer, wendet sich um zur Kamera, spricht in sein Mikrofon:
»Sudbury – nördlichste Großstadt der Provinz Ontario im zentralen Kanada. Siebenundachtzigtausend Einwohner, davon jeder elfte Franco-Kanadier, sechseinhalbtausend Italiener, viertausend Ukrainer, dreieinhalbtausend Deutsche, zweitausend Polen.
Sudbury lebt von seiner Industrie, von seinen Minen. Reiche Bodenschätze: Kupfer, Eisen, Kobalt, Platin, Palladium, Iridium – vor allem aber: größtes Nickelvorkommen der Welt.«
Oben auf der pechschwarzen Abraumhalde der Nickelmine erhebt sich eine Art Denkmal: eine riesige, silberglänzende Münze: 5 Cent, ein ›Nickel‹.
Auf dem Sockel dieses Monuments hat Roczinski eine größere Gruppe Menschen um sich versammelt:
»Es war nicht weiter schwer, eine ganze Reihe verläßlicher Augenzeugen für das Phänomen vom 9. September zu finden. Immerhin ein Ereignis, von dem die ganze Stadt heute noch spricht.«
Es folgen Interviews in der Stadt, Leute auf der Straße, Bilderbuch-Kanadier in buntkarierten Wolljacken, Mineure unter silbernen Helmen, Feuerwehrmänner auf ihrem Wagen, zwei Hausfrauen vor einem Supermarkt, Sportler in farbigen Blusen, ein Polizist an einer Kreuzung – sie alle antworten vor Roczinskis Mikrofon und vor der Kamera, stimmen zu, nicken, erklären, zeigen zum Himmel, zeichnen Linien, deuten Richtungen
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