Die Delegation
Fotografien in der Mitte des Films: Die Kamera nähert sich ihnen, stellt sie groß heraus. Sie wirken seltsam, unheimlich.
Aufgenommen wurden sie, das sieht man deutlich, vom Fahrersitz eines Volkswagens aus – nach vorne, durch die Scheibe.
Sie zeigen eine Gruppe von vier Männern in weißen Monturen. Fahle Wesen.
Sie stehen auf dem Kamm eines Hügels, laufen herunter über den Hang, über das steinige Feld neben der Straße, kommen dicht heran zum Wagen, starren durch das Seitenfenster. Die DELEGATION?
Die Beklemmung war die gleiche wie beim erstenmal. Es war, als hielten alle den Atem an.
Diese Aufnahmen hatten bewirkt, daß ich in diese Unternehmung gleichsam hineingestolpert war. Der Blick in diese tausendjährigen Augen … Ich hatte die Originale, kleine, vergilbte Kopien, in der Hand gehabt, damals, vor einigen Monaten, bei dem ersten Gespräch mit Wingard. Sie sind noch immer in meiner Brieftasche.
Einige Dutzend Male hatte ich sie mir angesehen, hatte sie anderen gezeigt, wir hatten diskutiert. Wir ließen sie vergrößern auf Din-A4-Format, legten sie Wissenschaftlern und Fotospezialisten vor. Auch mit kriminalistischem Eifer ließ sich kein Trick, keine Fälschung nachweisen.
Aber jedesmal, wenn dieser stechende, bohrende Blick mich traf, der mir so unmittelbar aus der verwischten Unscharfe des Bildes entgegenkam, überfiel mich ein Frösteln. Blick in die Geheimnisse einer fremden Welt? Es traf mich nicht allein.
Jetzt wieder, bei dieser Vorführung für Walther Riedel, ging eine Anspannung durch den Raum und dann ein tiefes Luftholen nach dieser atemlosen Stille.
23
Rolle zwei.
Ein großes, altes Holzhaus hoch über der Stadt. Von einer überdeckten Veranda geht der Blick frei über die Dächer bis zu den schwarzen Halden und den rauchenden Schloten der Nickelmine.
Neben dem Haus ragt ein Wasserbehälter wie ein UFO auf hohen Stelzen über die Felsen des Hügels. Ein gigantisches silberglänzendes Gebilde mit der schwarzen Aufschrift: SUDBURY. Eine junge Dame in einem sehr kurzen, tomatenfarbenen Kostüm steigt aus einem roten Volkswagen. Sie ist etwa dreißig, blond, nicht übermäßig hübsch. Sie schleppt buntbedruckte Plastiktüten mit Lebensmitteln, ein kleiner Hund, ein Spaniel, begleitet sie.
Louis Salan und Roczinski erwarten sie vor dem Haus, kommen ihr entgegen. Salan begrüßt sie, macht sie mit Roczinski bekannt. Der hat das Mikrofon in der Hand, das Tonbandgerätumgehängt.
Ein scheuer, mißtrauischer Blick der jungen Dame in die Optik der Kamera.
»Verena Cumber ist Lehrerin hier in Sudbury. Der Film stammt aus ihrem Fotoapparat.«
Auf der Veranda sitzen nun Miß Cumber, Salan und Roczinski um einen kleinen runden Tisch. Miß Cumber studiert die Fotos, legt die Familienbilder, die Bilder mit dem Hund auf die eine Seite. Für die Aufnahmen der ›Delegation‹ hat sie nur ein Kopfschütteln übrig.
»Miß Cumber bestreitet, diese vier seltsamen Bilder gemacht zu haben. Sie hat das, was auf den Fotos zu sehen ist, nie zu Gesicht bekommen, diese Leute da …« Wieder blättert sie ihre Familienbilder durch.
»Ja, sicher, diese sechs Aufnahmen stammen, von ihr. Das ist Mama und deren Schwester mit ihrem Mann, das andere sind Nachbarn. Ja, und der kleine Hund – natürlich ist das ihr Hund.«
Sie nimmt ihn hoch und zeigt ihn der Kamera. Salan rollt das Negativ auseinander, hält es gegen den Himmel. Kein Zweifel: sechs Familienfotos, dann die vier seltsamen Aufnahmen aus dem VW, schließlich zweimal der Hund. Miß Cumber zuckt die Schultern.
»Erst gestern hat sie bemerkt, daß auf dem Film noch zwei Aufnahmen drauf sind. Sie hat dann schnell diese beiden Fotos von ihrem Hund geknipst und den Film zum Entwickeln gegeben. Sie hatte es fast vergessen, daß sie am Geburtstag ihrer Mutter fotografiert hatte. Aber gestern hat sie den Wagen gewaschen und auch innen saubergemacht, und da lag die Kamera unter ihrem Sitz, lag da, offen, das Etui war nicht mal zugemacht, und da fiel es ihr wieder ein.
Verliehen hat sie die Kamera nicht, bestimmt nicht. Vielleicht hat sich jemand einen Scherz mit ihr gemacht, wer weiß, aber die Wagentür war immer abgeschlossen.« Der Volkswagen steht vor dem Haus.
Miß Cumber hat die Tür auf der Fahrerseite aufgeschlossen. Roczinski steigt ein, setzt sich hinter das Steuer. Salan reicht ihm den Fotoapparat.
Roczinski visiert durch den Sucher, vergleicht mit den Fotos: VW ist VW – aber diese Plaketten, das Wappen, das Ahornblatt,
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