Die Delegation
man nicht. Roczinski hat den Kristall eingehend untersuchen lassen, in Labors, hier in den USA. Die Filme und die Befunde habe ich oben im Zimmer.«
Wir saßen schon wieder in dieser tristen Halle. Fast alle Plätze waren besetzt. Da hockten die Leute, die man überall in der Welt in Hotels dieser Preisklasse trifft. Nur hier in den USA schienen die meisten um ein paar wesentliche Jahre älter zu sein.
Wo steckte eigentlich die Jugend? Auf unserer normalen Reiseroute hatten wir kaum junge Leute getroffen, nicht in den Hotels, nicht in den Flugzeugen, nur selten auf den Straßen. Die einzigen unter dreißig, die ich in diesen vier Wochen mit Bewußtsein wahrgenommen hatte, waren heute nachmittag hier vor dem Haus zusammengeschlagen worden. Wo steckten die anderen?
»Wo werden sie stecken: im College – und später im Job! Und wer tagsüber hart arbeitet, der liegt um diese Zeit längst im Bett. Ganz einfach!«
Auch wir hatten hart gearbeitet, es war halb zwölf. Wir gingen zum Fahrstuhl.
Juliette hatte sich wieder verändert. Sie lachte nicht mehr. Sie sah mich so merkwürdig an, wie heute schon einmal, nur einen Augenblick lang, vor dem Waffengeschäft. Heiter und seltsam zugleich. Wir hatten unsere Schlüssel geholt, jeder den seinen, ich hatte nicht weiter darauf geachtet, wo sie wohnte, in welchem Zimmer, in welcher Etage. »Wohin?«
Wir standen allein im Lift. Ich hatte den Finger schon an den Knöpfen. Sie zuckte die Schulter. Statt auf ihren Schlüssel zu schauen, sah sie zu Boden. Wie denn nun? Also ich wohnte im sechsten.
Sie hob den Kopf, lächelte etwas verträumt, gar nicht mehr Kumpel und kühle Forscherin. Deshalb war ich erstaunt, als sie mich fragte: »Also, wie war das, mit deiner Kristallpyramide …?«
Hatte sie wirklich noch Lust, weiter Roczinskis Probleme zu wälzen?
Sie spielte mit meinem Kragen, strich mit dem Finger zärtlich darüber hin. Hallo!
Mir war plötzlich, als übermittle sie mir telepathisch irgendwelche Wünsche … Aber Julie, wir hatten doch nur ausgemacht, gemütlich essen zu gehen, ein wenig zu reden, nichts weiter … Oder? Sie sagte immer noch nichts.
›From mind to mind – von Kopf zu Kopf – ohne Sprache.‹
Fremde Leute steuerten unsere offene Lifttür an.
Ich drückte die Nummer 6.
Die Türen schlossen sich rechtzeitig – wir schwebten nach oben.
39
Abschied im Morgengrauen.
Ob man sich wiedersieht in diesem Leben? – Warum nicht. »Wir halten Kontakt, ja?«
Natürlich. Vielleicht telepathisch. Wer schreibt schon noch Briefe!
»Du hast mir etwas verschwiegen.« Was hatte ich Julie verschwiegen? »Und nur deshalb bin ich hinaufgefahren zu dir …«
»Ich glaube, Julie, du lügst. Ich habe ein gutes Gedächtnis.«
»Doch! Was war mit der Kristallpyramide?«
»Deshalb?« Sie lachte.
»Ein andermal, Julie, das nächste Mal, ganz bestimmt. Ich zeig dir die Rollen, ich führe sie dir vor, irgendwann, irgendwo …«
Die Tochter des Häuptlings stieg in ein Taxi und verschwand im Gewühl. Die Kristallpyramide. Das war die Rolle fünf:
Roczinski in einem Labor.
Er hält die Kristallpyramide dicht vor die Linse der Kamera. Wir sehen im Innern einen zylindrischen Metallkern, umgeben von einer feinen roten Spirale. Er spricht in die Kamera:
»Spielzeug – Souvenir – Werbegeschenk? Fred P. Marshall, Physiker am Institut für Metallurgie hier in Pasadena/Kalifornien, nimmt meine Neugierde nicht sehr ernst. ›Ein Anhänger für einen Autoschlüssel – na und?‹ Aber dann unterzog er das Material einer genauen Untersuchung, einer Spektral-Analyse …«
Ein junger Mann im weißen Mantel, mit randloser Brille, referiert. Der klassische amerikanische ›Egg-Head‹.
»The X-ray-Diffraction-Patterns reveal crystallisation and parallel arrangement of giant molecules …«
»Die Röntgenspektogramme weisen auf kristalline Strukturen hin, auf Parallelanordnung von Riesenmolekülen.« Röntgenbilder von Kristallen – eine langsam um ihren Mittelpunkt kreisende Symmetrie von Strahlen und Punkten. Dann ein Aufflammen in hellen Farben, blendend, verschwimmend: ein Regenbogen von unbeschreiblicher Intensität, unregelmäßig von schwarzen Linien unterbrochen.
»Bei der Lichtbogen-Spektral-Analyse werden einige Billionen Atome von der Oberfläche des Objektes mit einem Lichtbogen ’abgefunkt. Das von ihnen ausgehende Licht wird über ein Spiegelgitter zu einem typischen Spektrum aufgefächert. Durch Vergleich mit bekannten Spektrallinien ergab
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