Die Delegation
Motorhaube hat er verschiedene Zeitungen ausgebreitet. Darin wiederholt: das Foto eines farbigen Ehepaares neben einem alten Wagen.
Auf der anderen Straßenseite: zweistöckige Reihenhäuser, rote Ziegelbauten, Porches, Veranden mit weiß und rot lackierten Säulen. Eiserne Treppen zu einer Art Hochparterre, Zäune um winzige Vorgärten.
Roczinski ist umringt von Neugierigen, ausnahmslos Schwarze, überwiegend Kinder.
»Eine unglaubliche Geschichte. Sie ist hier in verschiedenen Zeitungen nachzulesen: Das Ehepaar Mailer – es wohnt in diesem Haus im Farbigenviertel von Washington – ist mit dem Wagen unterwegs nach Cleveland. Der Mann will dort eine neue Stellung antreten.
Was nun wirklich geschah, daran wollen sich die Mailers beim besten Willen nicht mehr erinnern können. Tatsache ist: Man findet ihren Wagen auf dem Freeway kurz vor Cleveland, er steht quer, ist leer, der Zündschlüssel steckt, der Motor läuft noch, die Türen stehen offen, von den Mailers fehlt jedoch jede Spur.
Drei Stunden später greift man sie auf, aber nicht in der Nähe von Cleveland, nein, bei EL PASO, auf einem weiten, öden Gelände jenseits der mexikanischen Grenze. – Sie sind zu Fuß unterwegs. Und sie sind 3000 Kilometer Luftlinie von ihrem Wagen entfernt!«
Roczinski steht mit seinem Mikrofon nun unterhalb der Eisentreppe, steigt langsam nach oben. Die Schar der Neugierigen ist gewachsen. Kinder springen hoch, um ins Bild zu kommen. Sie winken ins Objektiv.
Auch neben der Treppe haben sich Schwarze versammelt, sie mustern den weißen Reporter mit Mißtrauen, vielleicht sogar mit Haß. Die Situation wirkt nicht ungefährlich.
»Die Mailers sollen unter Hypnose – unabhängig voneinander – berichtet haben: Astronauten hätten ihren Wagen gestoppt, hätten sie zu einem Raumschiff geschleppt, hätten sie dort vermessen und untersucht.
Man hätte ihnen Blut abgezapft und sie dann irgendwann wieder laufengelassen.
Dieses Abenteuer soll sich am 11. September zugetragen haben. Seine neue Stellung hat Mr. Mailer gar nicht erst angetreten. Na ja, er lebt vorläufig recht anständig von dem, was ihm die publizistische Auswertung dieser Geschichte einbringt.« Szenenwechsel:
Ein düsteres, enges Treppenhaus.
Roczinski steigt die schmale Treppe hoch. Auf den oberen Absatz münden drei Türen. Radiomusik dringt aus den Zimmern, Geschrei von Kindern, man hört den Sprecher eines Fernsehprogramms. Zögernd geht Roczinski von einer Tür zur andern. An der letzten klopft er, öffnet schließlich selbst. Ein Schwarzer in mittleren Jahren springt auf, verstellt ihm den Weg. Roczinski, höflich:
»Beg your pardon, Sir, are you Mr. Mailer? I want to meet Mr. Mailer. We are from the German Television… « Weiter kommt Roczinski nicht, trotz aller Höflichkeit. Der Mann wehrt ab, drängt Roczinski zurück, versucht, die Tür zu schließen. Eine Frau hinter ihm reißt sie wieder auf, schiebt ihn beiseite, dringt auf Roczinski ein, will ihm das Mikrofon entreißen.
Alle Türen öffnen sich. Neugierige, ängstliche Blicke der Alten. Junge Leute drängen nach vorn. Afrolook, bunte Hemden, Stimmengewirr voller Aggression. Handgemenge. Roczinski weicht zurück – mit ihm die Kamera. Die Handlampe wird heruntergerissen, pendelt durchs Bild, zerschellt an der Treppe.
Roczinski taumelt rückwärts, prallt gegen das Geländer, flieht nach unten.
Etwa zwanzig Schwarze versuchen nun, das Fernsehteam in die Flucht zu schlagen. Das Stimmengewirr ist gewaltig. Die Kamera stürzt auf der schmalen Treppe. Roczinski rutscht rückwärts über mehrere Stufen, schlägt hart am Treppenabsatz auf. Die Kamera dreht sich um sich selbst, stößt gegen die Wände, landet auf dem Boden, wird wieder hochgerissen. Die Flucht geht weiter. Durch die Haustür kommt Verstärkung. Roczinski schlägt sich frei. Ruft dem Kameramann etwas zu, schiebt ihn ins Freie.
Rückzugsgefecht auf der Eisentreppe vor dem Haus. Roczinski fängt sich im letzten Augenblick. Flucht über die Straße – zum Wagen – in das Innere des Taxis. Die Verfolger bleiben hart an der Kamera, entreißen Roczinski das Tonbandgerät. Es fällt zu Boden. Er hebt es wieder auf, steckt Schläge ein, schiebt Kameramann und Kamera in den Wagen, springt hinterher.
Der Ton hat ausgesetzt.
Roczinski zieht die Wagentür zu – der Wagen fährt an. Einige rennen noch hinterher. Dann ist Ruhe. An einer Straßenecke:
Die Kamera filmt durch die Frontscheibe des Wagens. Roczinski steht draußen neben zwei
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