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Die Delegation

Die Delegation

Titel: Die Delegation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Erler
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Unermeßliche steigern.«
     
    Irgendwo in den Häuserschluchten Manhattans steht Roczinski mit seinem Mikrophon. Die freie Hand spielt mit der Kristallpyramide.
    »Das Lächeln auf dem Gesicht eines Extraterristen… Amüsierte ihn die Verwirrung von Miß Cumber, als er ihr die Kristallpyramide übergab? Sie sollte sie behalten, ›als Rätsel, als Frage‹. Hat er damit einen Spion ins Spiel gebracht, der unsere Gedanken erforscht? Eine verrückte Vermutung, zugegeben, die allerdings ein höchst unheimliches Gefühl in mir erzeugt, denn alle unsere Gedanken entstehen durch Gehirnströme…« Er beugt den Kopf zurück, setzt sich die kleine Pyramide auf die Stirn.
    Steht nun da, bewegungslos, mit geschlossenen Augen. Die Menschen strömen an ihm vorbei, nur wenige würdigen ihn oder die Kamera eines Blickes.
    Sie machen einen Bogen um ihn, weichen ihm aus, ohne ihn anzusehen. Ein Hindernis in diesem hektischen Geschiebe und Gerenne – nichts weiter.
    Hoch über ihm scheinen die Spitzen der Wolkenkratzer zusammenzuwachsen.

41
     
     
     
    Wir wollten es genauer wissen, zogen mit unserer Kamera kreuz und quer durch New York und befragten die Leute auf der Straße.
    Wir stellten zwei Fragen. Die erste:
    »Halten Sie die Bewohner dieser Erde für hochzivilisierte Wesen?«
    Eine farbige Studentin in Greenwich Village: »Hochzivilisiert? Nein, das glaube ich nicht. Haß und Neid und Aggression… Vom Idealbild, da sind wir doch noch weit entfernt!«
    Ein alter Mann auf einer Bank: »Na ja, so halb und halb…«
    Eine junge Amerikanerin, Weiße, Wallstreet, neben der Börse:
    »Oh, ja – natürlich! Wir haben es weit gebracht. Sehen Sie sich mal um, Kunst, Kultur – und wir sind immerhin schon auf dem Mond gelandet! Wir haben Kühlschränke, Air-Conditioning – und überhaupt alles… und allein schon unsere Art zu leben, hier, in den USA!«
    Am Times Square, in der 42. Straße, ein Schuhputzer mit italienischem Akzent:
    »Wir gehen nicht mehr barfuß – das ist doch ein Fortschritt – oder?«
    Ein Hippie-Paar in East-Village. Sie geht barfuß: »Was wollen Sie hören? Daß wir jetzt nach Hause gehen und Liebe machen – ganz unzivilisiert und animalisch? – Okay, warum auch nicht? Wir sind intelligente Säugetiere und nichts weiter. Zurück zur Natur, das ist unser Fortschritt…«
    Ein Polizist, ein typischer New Yorker ›Cop‹, am Columbus Circle: »Was ich davon halte, kann ich Ihnen sagen: Kommen Sie mit auf Streife heute abend und sehen Sie sich die Besoffenen in der Bowery an.«
    Ein intellektueller Student am Washington Square: »Sie meinen hochzivilisiert? – ›Überzivilisiert!‹ Zugegeben, in den letzten vierhundert Jahren haben wir eine Menge erreicht. Ich würde sagen: noch mal die gleiche Zeit… also nicht in puncto Technik, da läuft alles bestens… aber was die moralische Qualifikation angeht, da sind wir in der Steinzeit! Und damit überleben wir kaum die nächsten hundert Jahre!« Zweite Frage:
    »Was meinen Sie: Gibt es irgendwo im Universum intelligente Wesen, die uns überlegen sind?«
    Von dreiundzwanzig befragten Personen nahmen achtzehn das ohne weiteres an, vier hielten es für möglich, nur einer glaubte es nicht: ein Farbiger, sechsundvierzig Jahre alt, Kassenbote einer Bank, Baptist.
    Nummer vierundzwanzig, der intellektuelle Student vom Washington Square, fand ›ja‹ und ›nein‹ zuwenig: »Was heißt ›intelligent‹ und was heißt ›überlegen‹? Worin überlegen? Technisch, ja, natürlich! Aber technische Zivilisationen müssen nicht im eigentlichen Sinn des Wortes auch ›intelligent‹ sein.
    Manchmal denke ich mir, vielleicht werden Astronauten von uns eines Tages irgendwo da oben landen, den anderen ins Gesicht sehen – und nichts begreifen…« Washington Square – friedliche Oase im Hexenkessel Manhattans. Der große, flache Brunnen war leer. Weiße und Farbige saßen am Rand, wärmten sich in der herbstlichen Sonne. Ein Schild verkündete, es sei verboten, Musik zu machen und Arien zu singen.
    Der Wind wirbelte Blätter durch die Luft und Zeitungspapier. Einer nahm seine Gitarre, andere stimmten mit ein, leise, sentimental. Ein puertoricanisches Lied.
    Etwas abseits stand ein Polizist, im Schatten dieser Kopie eines römischen Triumphbogens. Hinter ihm verlor sich die 5th Avenue in den Schluchten Manhattans. Er griff nicht ein. Nun ja – vielleicht verläuft das Ganze auch umgekehrt: Die Außerirdischen sehen uns, den Menschen dieser Erde, ins Gesicht – und

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