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Die Delegation

Die Delegation

Titel: Die Delegation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Erler
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verdrehten Laken, zerwühlten Kissen, ein schlafender Clown. Ich wecke ihn auf – zärtlich, behutsam –, und diesmal sind wir allein, kein Schatten der Vergangenheit, kein Gespenst, kein Lichterspiel.
    Das Telefon klingelte.
    Die anderen standen schon unten in der Halle, hatten bereits gefrühstückt, waren abfahrbereit. Es war spät. »Ja, ich komme sofort.«
    Das Kissen neben mir war leer. Kein Clown mehr da, kein mexikanischer Hut. Jessica war fort, war heimlich davongeflattert, und zurück blieb nur ein zarter, trauriger Hauch von Sandelholz.

61
     
     
     
    Nun fuhren wir also durch die Wüste – Kalifornien, Nevada, Arizona –, weil es uns Spaß machte, durch die Wüste zu fahren, weil wir die Wüste liebten, diese archaische Landschaft, weit wie das Meer und trotzdem nicht so beängstigend grenzenlos, dafür vielfarbig, fotogen, einsam, menschenleer – schön, dieses Amerika ohne Amerikaner. Wir besuchten den ›Giant Rock‹ im Yucca Valley. In der riesigen Höhle unter dem Felsen versammeln sich regelmäßig UFO-Gläubige und versuchen meditativen Kontakt mit fernen Welten herzustellen, Welten, von denen uns Hilfe kommen soll und das Heil und der Frieden. Zweihundert Wagen standen auf dem Parkplatz. Neugierige saßen herum, hockten auf den Klappstühlen im Halbdunkel zwischen den Auserwählten und warteten auf eine Sensation. Vergeblich.
     
     
    Kein brennender Dornbusch, kein Feuerzeichen, kein flammendes Pentagramm in der Luft, wie auf dem Foto in der Bibliothek von Karl Veit.
    Was tun wir eigentlich hier? Was suchen wir? Was bringt uns das alles? Was ist überhaupt noch der Nachprüfung wert in Sachen Roczinski? Ein Platz in der Wüste? Die Anzahl von Motels und Tankstellen in Cadiz? Eine Geliebte? Wozu sind wir in diesem Land?
    Ist das, was uns fragwürdig erscheint an Roczinskis Reportage an seiner Theorie, an seinen Hoffnungen und Mutmaßungen, überhaupt nachprüfbar?
    Sie sind hiergewesen! – schreibt Roczinski. Gut, dann waren sie eben hier. Warum auch nicht? Belassen wir’s doch dabei. Ist Wahrheit nicht auch, was geschehen sein könnte?
     
     
    Wir flogen nach Miami, nahmen uns zum erstenmal auf dieser Reise ein Wochenende frei, lagen zwei Tage in der Sonne Floridas zwischen halbgreisen Amerikanern, die sich einen Jugendtraum erfüllten und ihren Lebensabend hier verbrachten. Dabei übersahen sie tragischerweise die Tatsache, daß dieses feuchtheiße, tropische Klima lebensverkürzend wirkt. Wir besuchten Flipper und den Mörderwal im Seewasseraquarium und die ausrangierte ›Queen Elizabeth‹, dieses schwimmende Monster aus Rost, im Hafen von Fort Lauderdale.
    Wir fuhren nach Norden, nach Kap Kennedy, setzten uns in die Sight-Seeing-Busse der NASA, die uns als tiefgekühlte Fracht, weil vollklimatisiert, zu den Abschußrampen der Mondraketen beförderten. Gruppenfoto vor Apollo 12.
    Führung durch das größte Gebäude der Welt – die Montagehalle. Ein Park voll tödlicher Waffen von gestern, ausgediente Raketenmodelle in einem Freilichtmuseum der Air Force. Die atomaren Sprengkörper waren – hoffentlich – durch Attrappen ersetzt.
    Wir folgten den ausgetretenen Trampelpfaden des Tourismus.
    Aber als ein tropischer Regen über diesen Teil Floridas niederging und die Grenzen zwischen Wasser und Land für den Rest des Tages verwischte, landeten wir endlich wieder beim Thema.
    »Wir sind keine Kinder, wir sind Säuglinge – besonders was unsere ›Raumfahrt‹ angeht, und eigentlich sind wir in gewisser Weise – leider – schon wieder am Ende. Zumindest sieht es im Augenblick so aus.«
    Der das sagte, war Angestellter der NASA, das war erstaunlich. Aber da er diese Ketzereien als Privatmann und nicht als NASA-Angehöriger preisgab, wollen wir ihn Heinz Traubert nennen.
    Wir hatten uns, glaube ich, mit zwölf Jahren kennengelernt, in einer Jugendgruppe. Ich spielte Theater, fing an zu inszenieren, Laienspiele natürlich, und war bereits fest entschlossen, später einmal Filme zu machen. Und er schrieb Theaterstücke für uns und interessierte sich damals bereits für Physik und Technik – und für Philosophie. Heute ist der Kybernetiker, Informatiker, Elektroniker und Mathematiker, also ›Computer System Scientist‹, und hat schon bei vielen großen Instituten und Elektronik-Konzernen ein Gastspiel gegeben. Zwanzig Jahre hatten wir uns nicht gesehen. Ich wußte, daß er in Huntsville, Alabama, arbeitete, beim Marshall Space Flight Center, beim MSFC. Das Zusammentreffen in

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