Die Delegation
zu lang und zu stark getuscht.
Aber ihre Augen lachten, lachten immerzu, während ihr viel zu großer Mund die seltsamsten Linien beschrieb. Der war ständig in Bewegung, so als erzähle sie mir etwas, aber sie sagte, glaube ich, kein Wort. Ein Clown.
Die Musik dröhnte aus allen Ecken, einige tanzten, die Luft war zum Schneiden. Wir schwiegen immer noch und sahen uns an.
Unmöglicher Zufall.
Henry kam vorbei, sah nach, ob auch alle glücklich waren und zu trinken hatten. Er sagte nichts, nickte Jessica nur flüchtig zu, kannte sie also kaum oder gar nicht, erkannte sie auch nicht wieder vom Film.
Sie war ein Mitbringsel, ein Anhängsel, einer hatte sie eingeschleppt, dieser Kerl vielleicht von heute mittag, den auch keiner kannte und an dessen Gesicht ich mich nicht mehr erinnern konnte.
Da standen wir nun. Um sich zu unterhalten, hätte man schreien müssen. Ich versuchte es:
»Regnet’s hier eigentlich immer?«
»Wieso?«
»Es hat doch geregnet und gestürmt den ganzen Tag!« Für einen Drehbuchautor waren das idiotische Texte. »Ich bin nämlich das erste Mal in Kalifornien.« Sie kam näher. »Ja, das passiert hier schon mal, das mit dem Regen. Alle denken, wenn sie Kalifornien hören, immer nur an Sonne und High life. Manchmal haben wir Wolkenbrüche, da fangen die Berge an zu rutschen, Häuser werden fortgespült und Menschen verschüttet.«
Das Sandelholz vertrieb den beißenden Tabakdunst der hundert gleichzeitig glimmenden Zigaretten. »Wie lange bist du schon hier?« wollte sie wissen. »In Los Angeles? Zwei Tage. Morgen geht’s weiter.«
»Ich weiß. Und wie gefällt es dir?«
»Na ja, ganz gut. Viel hab ich nicht gesehen.«
»Warum nicht?«
»Keine Zeit. Außerdem hat es ja geregnet. Nur heute mittag, da waren wir unten am Meer, am Pazifik, an der Brücke.«
»Gebadet?«
»Nein, gegessen. ›Seafood.‹ Krebse.«
»Ja, das ist ganz gut, da unten.«
Keine weitere Reaktion. Oder was war das, in ihrem Blick? Ich mußte lachen – sie lachte mit. Erinnerte sie sich an diesen Klotz im Weg, der ihr so lange nachgestarrt hatte? »Es hat aufgehört zu regnen.« Sie sah so unternehmungslustig aus. »Komm mit.«
Sie zog mich wieder am Ärmel hinter sich her zur Tanzfläche. Nein, bitte nicht! Ich finde Tanzen ausgesprochen albern. Nicht, daß ich’s nicht könnte, aber es gibt heutzutage so viele andere Gelegenheiten, Mädchen anzufassen – und auf der Tanzfläche tut man’s ja ohnehin nicht mehr. Aber sie hatte da gar nichts mit mir vor, sie ließ mich stehen, drängte an einigen Tänzern vorbei, nahm einen Mann am Arm, der drehte sich um, hörte ihr zu, beugte sich herunter zu ihr, hörte wohl schlecht, begriff nicht sofort, faßte schließlich in seine Tasche und gab ihr etwas. Einen Autoschlüssel…? War das ihr Begleiter von heute mittag?
Die Beleuchtung war inzwischen auf Stimmung getrimmt. Nur die Stehlampen brannten noch, Henry wandelte mit einem Topf Salzmandeln durch den Raum.
Sie kam zurück, nahm mich wieder am Ärmel, und wir gingen zur Tür. »Und was jetzt?«
Das Licht im Flur war grell und kalt. Es durchleuchtete unsere Gesichter, ihre durchsichtige Bluse, sie war diesmal schwarz, alles war schwarz, die ausgestellten Hosen, die hochhackigen Stiefel, das kurze Cape, das sie aus einem Berg Regenmäntel fischte, um ihren Knabenbusen zu verhüllen. »Ich fahr’ dich durch die Stadt, wenn du willst, zeig’ dir die Sehenswürdigkeiten! Da drinnen kann man nicht reden.« Wir warteten vergeblich auf den Lift, schließlich gingen wir zu Fuß über die Treppe. In Los Angeles baut man nicht in den Himmel.
»War das dein Freund?«
»Der getanzt hat? Ja.«
»Was hast du ihm gesagt – ich meine, wo wir hingehen?«
»Nur, daß ich den Schlüssel brauche.«
»Und was hat er gesagt?«
»Okay.«
Sie ließ den Autoschlüssel klingeln, und dazu klapperten ihre Absätze in einem ganz bestimmten Rhythmus über die Stufen.
Wir fuhren am ›Beverly Wilshire‹ vorbei. Sie zeigte hinaus: »Dein Hotel!«
»Stimmt. Woher weißt du das?«
»Hab’ ich gehört. Ziemlich muffiger Kasten, was?«
»Geht eigentlich. Nur sehr laut. Ich wohne nach vorne raus. Gibt’s hier eigentlich ruhige Hotels?«
»Wenig. Wenn du rechtzeitig anrufst, das nächste Mal, such ich dir eins. Wenn ihr nicht soviel seid, könnt ihr auch bei uns übernachten.« Bei ihr?
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