Die denkenden Wälder
von der Mutterpflanze abgebrochen hatte, schob er ihn hinten in die Waffe. Dem Sack, der neben dem Köcher hing, entnahm er ein Tankkorn. Es war hellgelb, mit schwarzen Adern, und etwas größer als eine Männerfaust. Seine lederne Haut war zäh wie eine Trommel. Born schob das Korn hinten in den Bläser und klappte den Block hoch. Über ihm war aus dem Rascheln jetzt ein Krachen und Knacken von dicken Zweigen geworden. Er umfaßte mit der rechten Hand den pistolenähnlichen Abzug und benutzte die andere Hand, das Rohr zu halten. Still wie eine Statue stand er jetzt. Indem er sich ganz auf die Bromeliade konzentrierte, war er bemüht, mit der Pflanze eins zu werden.
Sieh doch, was für einen bequemen Ruheort ich biete, dachte er angespannt. Wie geräumig doch dieser Kabblast ist, wie breit und wohlschmeckend seine Gefährten, wie klar und frisch und kühl das Wasser, das ich so geduldig gerade für dich gesammelt habe. Komm doch zu mir herunter und trinke aus mir!
Eine verirrte Brise bewegte die Blattspitzen der Bromeliade. Born hielt den Atem an und hoffte, daß die Brise nicht seine Witterung nach oben trug, zu dem Geschöpf, was immer es sein mochte, das sich schwerfällig den Weg nach unten bahnte.
Ein letztes lautes Knacken abbrechender Blattstiele, und das Geschöpf zeigte sich eine dunkelbraune Kegelgestalt mit kurzem braunen Fell bedeckt. Am flachen Ende des Kegels waren jetzt zwei lange Tentakel zu sehen. Augen mit roter Iris standen dar-über. Und um den kegelförmigen Körper des Grasers, in gleichmäßigen Abständen verteilt, waren vier muskulöse Arme, die ihn zwischen den oberen und unteren Ästen festhielten. An einem kräftigen Schwanz, der von der Spitze des Kegels ausging, ließ er sich vorsichtig herab.
Der Graser war beinahe zwei Meter lang und fünfmal so schwer wie Born. Es würde nicht leicht sein, ihn zu töten. Der dicke Pelz war schwer zu durchdringen, aber der flache Unterteil des Kegels war nur mit dünnen Borsten bedeckt. Um es aber dort zu treffen, würde Born warten müssen, bis das Geschöpf sich ihm zuwandte. Der winzige runde Mund an der Kegelbasis war harmlos, enthielt vier einander gegenübergestellte Gruppen flacher Mahlzähne. Aber diese Arme konnten einen Kabbl in Fetzen reißen. Und ein Mensch würde noch viel leichter in Stücke gehen. Ein Arm löste seinen Griff, packte einen niedrigeren Ast. Der Schwanz bog sich herunter, um sich an demselben Ast festzuklammern. Dann ließen der obere und der linke Arm los, und der Graser schwang sich tiefer. Born wünschte, er hätte sich ein wenig besser vorbereitet und einen zweiten Tankkorn und einen Jacaridorn vorbereitet. Aber jetzt war es zu spät. Die leiseste Bewegung, und der Graser würde blitzschnell verschwinden. Er konnte sich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit durch den Dschungel bewegen nach oben oder unten ebenso wie zur Seite. Und er konnte einen Menschen auch von hinten anfallen, ehe der auch nur Zeit zum Umdrehen hatte.
Jetzt wartete er auf der Liane unmittelbar über der Zisterne. Mit Hilfe seines Schwanzes und seiner vier Hände drehte er sich langsam nach allen Seiten. Einmal schien es Born, als starrten die suchenden Augen direkt in sein Versteck, aber sie hielten nicht inne, sondern kreisten weiter. Offenbar mit dem Zustand seiner Umgebung zufrieden, ließ der Graser sich auf den Kabbl herunterfallen. Drei Arme stützten ihn am äußersten Rand der Bromeliade. Er beugte sich vor, und sein breites flaches Gesicht senkte sich aufs Wasser. Born konnte schlürfende Geräusche hören.
Das Problem war jetzt dieses: Wenn er jetzt pfiff, würde jener massive Kopf sich dann nach links oder rechts drehen? Wenn er sich falsch entschied, würde er wertvolle, vielleicht entscheidende Sekunden verlieren. Born traf seine Wahl und schob die Mündung des Bläsers vorsichtig in die Richtung des Grasers. Er schürzte die Lippen und stieß einen leisen stotternden Pfiff aus. Fleisch rührte der Graser nicht an, aber Blumenkiteier waren eine Delikatesse für ihn. Auf den Klang von Borns Imitation des Gefahrenrufs eines Blumenkitweibchens hob sich der große Kopf, drehte sich um und starrte ihn direkt an. Der Jäger atmete kurz durch und drückte ab. Im Inneren des Laufes schoß ein langer zugespitzter Splitter von jisenholz nach hinten und durchbohrte die straff gespannte Haut des Tankkorns. Ein weicher Knall war zu hören, als der gasgefüllte Samen explodierte. Das komprimierte Gas strömte explosionsartig aus und trieb den
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