Die deutsche Seele
Gottlieb Daimler noch prophezeit haben, dass die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen die Million nie überschreiten werde - allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren. Als die Produktion der »Tin Lizzy« 1927 eingestellt wurde, hatte Ford insgesamt 15 Millionen Exemplare seines Erfolgsmodells verkauft, und es darf davon ausgegangen werden, dass die allerwenigsten von einem Chauffeur gesteuert worden sind.
Der unelitärste deutsche Autobauer der zwanziger Jahre war Opel. Der Gründer und Namenspatron Adam Opel, der selbst nur Nähmaschinen und Fahrräder produziert hatte, war sogar so unelitär gewesen, dass er die Herstellung von Autos mit der Begründung abgelehnt hatte, es handele sich bei dieser neumodischen Erfindung ohnehin nur um ein »Spielzeug für Millionäre«. Erst nach dem Tod des Patriarchen stiegen die fünf Opel-Söhne, die allesamt gute Radrennfahrer gewesen waren, ins Kraftfahrzeuggewerbe ein. 1924 verließ das erste deutsche Fließbandauto das Werk in Rüsselsheim und brachte Opel den Aufstieg zum größten deutschen Automobilhersteller der damaligen Zeit. Im Vergleich zur »Blechliesel« war der »Laubfrosch« allerdings immer noch ein Nischenprodukt. Während bei Ford pro Jahr durchschnittlich 750 000 Wagen vom Fließband rollten, waren es bei Opel gerade einmal 20 000 bis 30 000.
Da freut sich der »Führer«: Anlässlich von Hitlers 49. Geburtstag präsentiert Ferdinand Porsche (im dunklen Anzug links) ein Modell seines »Kraft-durch-Freude-Wagens«.
Zur Massenware wurde das deutsche Auto erst mit dem Volkswagen. Im Herbst 1933 beauftragte Hitler den Präzisions- und Ästhetikfetischisten Ferdinand Porsche damit, ein Auto zu entwickeln, das den Namen »Volkswagen« tatsächlich verdiente: ein Vehikel, das in wenigen Jahren hunderttausendfach über die parallel entstehenden Reichsautobahnen brummen sollte, schnell, aber nicht zu schnell, außerdem familienfreundlich, erschwinglich in den Anschaffungskosten und sparsam im Benzinverbrauch. Den »Kraft-durch-Freude-Wagen« serienmäßig zu bauen, war allerdings der Bundesrepublik vorbehalten. Im Zweiten Weltkrieg wurden keine Untersätze zum »fröhlichen Kraftfahrwandern«, sondern Kübelwagen für die Wehrmacht gebraucht.
Just diesem Umstand verdankte der Käfer seinen späteren Höhenflug: Nie hätte er zum Kultobjekt und 1972 sogar zum meistverkauften Auto der Welt aufsteigen können - von diesem Spitzenplatz verdrängte ihn erst 2002 der VW-Golf -, wäre er im allgemeinen ikonographischen Bewusstsein mit den Nazis verbunden gewesen. Denn nicht nur die wirtschaftswunderlichen Deutschen, auch die Amerikaner schlossen in den fünfziger Jahren das niedliche und trotzdem robuste Automobil ins Herz, als habe nicht Adolf Hitler dessen Konstruktion angeordnet, sondern Walt Disney.
Wie sehr die Amerikaner den deutschen Wonnebrocken liebten, verrät ein Slogan, mit dem Volkswagen 1960 in den USA warb: »I don’t want an imported car. I want a Volkswagen.«
Es ist kaum zu glauben: Ausgerechnet jenem Auto, dem die nationalsozialistische Vergangenheit wie keinem zweiten im Chassis steckte, zollten die Amerikaner die größtmögliche Anerkennung, indem sie es zu einem der ihren erklärten. Noch schwerer zu glauben: Die revolutionäre Werbekampagne, die so einprägsame Sprüche wie »Think small« oder »Going, going« hervorbrachte, war von Doyle Dane Bernbach ersonnen worden - einer Agentur, deren Mitarbeiter mehrheitlich jüdischer Herkunft waren und zu deren Auftraggebern in den frühen sechziger Jahren auch die israelische Fluggesellschaft EL AL gehörte.
Entnazifizierung, Versöhnung gar im kreisrunden Zeichen einer Automarke? Oder Triumph des Kapitalismus übers historische Bewusstsein? Sicher ist nur, dass niemand so sehr wie der VW Käfer - außer Konrad Adenauer und dem Fräuleinwunder - dazu beigetragen hat, den Amerikanern und damit der ganzen Welt zu signalisieren, dass sie die bundesrepublikanischen Deutschen nicht zu fürchten brauchten. Endgültig zum Friedenskäfer machten ihn kalifornische Hippies, die ihre Blumen und »Peace«-Logos besonders gern auf sein dralles Blech malten.
Wer wollte da noch an »stählerne Romantik« oder »Kraft durch Freude« denken, als Volkswagen of America im Jahre 1990 eine neue Werbekampagne startete, in der eine beruhigend sonore Stimme den Zuschauer aus dem Fernseher heraus aufforderte, ins neueste VW-Modell einzusteigen und »Fahrvergnügen« zu erleben, »when car and driver become
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