Die deutsche Seele
Zerwürfnis mit seinem fähigsten Ingenieur.
August Horch, der spätere Gründer von Audi (nach einem juristischen Streit verlor er die Rechte an seinem Nachnamen, weshalb die Fahrzeuge, die er nach 1910 baute, auf seinen latinisierten Namen hörten), hatte schon als Kind in der Werkstatt seines Vaters Eisenkufen unter seinen Holzschlitten montiert, um schneller den Hang hinunterzukommen. Horch war der Erste, der sich rückhaltlos zur automobilen Geschwindigkeit bekannte. Der Chef selbst nahm an Rennen teil, vor dem Ersten Weltkrieg machte er Audi zum Dauersieger im Motorsport. Als sein neues Unternehmen, die alte Firma Horch und zwei weitere Automobilhersteller fusionierten, stellte er einen weiteren begnadeten Konstrukteur ein: Ferdinand Porsche entwickelte für die Auto Union jene Silberpfeile, die sich mit den Silberpfeilen, die das mittlerweile gleichfalls fusionierte Unternehmen Mercedes-Benz baute, in den dreißiger Jahren die heißesten Jagden über den Asphalt lieferten.
Die Wagen zu lenken, war eine Kunst. Zum prominentesten deutschen Ben Hur jener Zeit avancierte Bernd Rosemeyer. In den Silberpfeilen der Auto Union fuhr er von Rennsieg zu Geschwindigkeitsrekord. Im Oktober 1937 durchbrach er die magische Marke von 400 km/h. Goebbels’ »stählerne Romantik« hatte ihr Idol gefunden. Die Tatsache, dass der Rennfahrer mit der Fliegerin Elly Beinhorn verheiratet war, einer Frau, die mindestens so tollkühn unterwegs war wie er, tat seiner Aura keinen Abbruch, im Gegenteil: Der NS-Staat rühmte sich, mit dem »schnellsten Ehepaar der Welt« aufwarten zu können.
Das Hochgeschwindigkeits-Hochglanz-Märchen nahm sein jähes Ende, als Rosemeyer im Januar 1938 bei dem Versuch, den neuen Rekord zu überbieten, den sein Konkurrent unmittelbar zuvor in einem Mercedes-Benz aufgestellt hatte, auf der Autobahn Frankfurt-Darmstadt von einer seitlichen Windbö erfasst und in den Wald geschleudert wurde. Der Rennfahrer war auf der Stelle tot. Auch seine allerletzte Ruhe fand er unter Bäumen: auf dem Waldfriedhof in Berlin-Dahlem.
Von dort sind es keine drei Kilometer bis zur ältesten »Nur-Kraftwagenstraße« (sprich: Autobahn) der Welt - der AVUS. Die »Automobil-Verkehrs- und -Übungsstraße« wurde 1921 eröffnet. Und von Anfang an ging es dort rasant zu. Sie war nicht etwa gebaut worden, damit die Berliner ein Gelände hätten, auf dem sie ihre ersten ungelenken Fahrversuche machen konnten, ohne Tiere, Kutschen und Passanten zu gefährden. Deutsche Rennfahrer, die damals noch der internationalen Konkurrenz hinterherfuhren, sollten eine Strecke bekommen, auf der sie die immer leistungsstärkeren Motoren, die deutsche Ingenieure entwickelten, ausreizen konnten. Im Alltag mussten sich die Rosemeyers & Co. die Straße allerdings mit selbst ernannten Rennfahrern teilen.
Das schönste Zeugnis eines solch privaten Geschwindigkeitsrausches findet sich bei Vicki Baum. In ihrem Bestseller Menschen im Hotel schickt die Schriftstellerin den magenkrebskranken Provinzbuchhalter Otto Kringelein - der noch nie in einem Auto gesessen hat und wenigstens jetzt, in den Wochen vor seinem Tod, das Leben hemmungslos genießen will - zusammen mit einem schneidigen Baron auf die AVUS: »Es fing an mit einer Luft, die immer kälter wurde, immer steifer, und die schließlich ganz hart gegen sein Gesicht schlug wie mit Fäusten. Der Wagen bekam eine Stimme und sang von unten herauf und immer höher, zugleich geschah etwas Grässliches in Kringeleins Beinen. Sie füllten sich mit Luft gleichsam, es stiegen Blasen in seinen Knochen hoch, dann wollten ihm die Knie zerplatzen.« Nachdem der Baron die Tachonadel seines Sportwagens bis zu 118 km/h hinaufgejagt hat - anno 1929 für den Nicht-Profi ein Höllentempo -, lässt Vicki Baum den Baron seufzen: »So, jetzt ist mir leichter.« »Mir auch«, ergänzt der bleiche, aber selige Provinzbuchhalter. Katharsis durch Technik.
Hält es der Brite für den Inbegriff der Freiheit, eine eigene Meinung zu vertreten, der Franzose, regelmäßig auf die Barrikaden zu gehen, und der Amerikaner, eine Waffe und keine Krankenversicherung zu haben, geht dem Deutschen das Herz auf, wenn ihn niemand daran hindert, die Autobahn mit der Geschwindigkeit hinunterzubrausen, die sein Motor hergibt.
»Freie Fahrt für freie Bürger.« Mit jenem legendären Motto reagierte der ADAC im Februar 1974 auf den Plan, ein generelles Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen durchzusetzen. Der Satz ist die geheime
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