Die deutsche Seele
Prä-Präambel zum Grundgesetz geworden. Seit einigen Jahren versuchen der Bundesverkehrsminister und der Deutsche Verkehrssicherheitsrat dem entgegenzusteuern, indem sie »Runter vom Gas!« fordern und an den Autobahnen immer drastischere Plakate aufstellen, die Opfer von Verkehrsunfällen zeigen. Grüne Politiker wollen die Automobilindustrie dazu bringen, keine fahrbaren Geschosse mehr, sondern nur noch Umweltschoner zu produzieren. Bislang vergeblich. Der Deutsche des frühen 21. Jahrhunderts hat sich zwar die Lust am Rauchen verderben lassen, sein Fahrvergnügen lässt er sich (noch) nicht rauben. Sobald er am Steuer sitzt, bricht aus ihm der alte Germane hervor, der sich von keinem römischen Statthalter und auch sonst niemandem vorschreiben lässt, mit welcher Geschwindigkeit er durch die Landschaft zu marodieren hat. Wenn nicht gerade Stau herrscht, sind die tempolimitfreien Autobahnstrecken die letzte Wildnis, die es in Deutschland gibt.
Dass Autofahren etwas mit Freiheit, Wildsein zu tun hat, dass Automobil und Autonomie Geschwister sind, haben seit Anbeginn nicht nur die Männer gespürt. Auch Frauen hatten Benzin im Blut. So setzte Bertha, die resolute Gattin von Carl Benz, ihre Mitgift dafür ein, dass dieser seinen Traum vom »lebendigen Motorwagen« verwirklichen konnte. Es war keine reine Gattenliebe, die Bertha dazu trieb; die Frau, die in ihrer Jugend hatte entdecken müssen, dass ihre Mutter am Tag ihrer Geburt in die Familienbibel eingetragen hatte: »Leider wieder nur ein Mädchen«, hoffte, mit Hilfe der neuen Erfindung ihrer engstirnigen Familie zu beweisen, wozu »ein Mädchen« imstande war.
Und so beschloss sie im August 1888 entweder selbst - oder ließ sich von ihren beiden Söhnen dazu überreden -, hinter dem Rücken ihres Mannes den Motorpatentwagen zu besteigen und den weiten Weg nach Pforzheim, zur Kindstaufe im Hause ihrer Schwester, zu fahren. Die Heimlichkeit war nötig, denn »Papa Benz«, dem die Mannheimer Polizei mittlerweile fast komplett untersagt hatte, mit seinem »Höllengefährt« weiter die Gegend unsicher zu machen, wäre von dem tollkühnen Plan kaum begeistert gewesen. (Liest man seine Lebenserinnerungen, scheint der Erfinder nach anfänglichem Zornausbruch doch stolz auf den Mumm gewesen zu sein, den seine Frau und die beiden Söhne bewiesen hatten.)
Die erste Langstreckenfahrt der Welt in einem Wagen ohne Pferde war nervenaufreibend und schweißtreibend, aber erfolgreich. Manch einem Bauern am Wegesrand fiel vor Staunen die Heugabel aus der Hand, andere liefen schreiend davon - doch niemand wagte es, die Frau am Steuer aufzuhalten. Zum größten Hindernis wurden Treibstoffengpässe, eine ausgeleierte Kette, ein verstopfter Benzinzufluss und die badischen Hügel, an denen das Dreirad mit seinem braven Einzylinder-Viertaktmotor und nur zwei Gängen scheiterte. Bertha Benz ließ sich nicht ausbremsen. In einem späten Radio-Interview erklärte die hochbetagte Dame: »Ich bin auch allein kutschiert, so lang, dass ebe die Sach gelaufe is. Wenn’s ebe nimmer gelaufe is, bin ich ebe abgestiege und hab Hand geschobe.«
Im Frühjahr 1938 trat die aus Würzburg stammende Journalistin Margret Boveri eine noch wildere Reise an. In ihrem geliebten, schon vor dem Start leicht altersschwachen »Bungo« fuhr sie in Begleitung einer Freundin von Istanbul über Damaskus, Bagdad und Teheran bis nach Isfahan. Bereits in Anatolien wären die beiden Frauen mehrmals beinahe stecken geblieben: Die Straßen waren miserabel, Flüsse über die Ufer getreten, Brücken zerstört. Regelmäßige Schäden an Karosserie und Motor kamen hinzu.
»Doris und ich liegen abwechselnd unter dem Auto«, schreibt die Boveri in ihrem Reisebericht Ein Auto, Wüsten, blaue Perlen, dessen eigentlicher Held der »Bungo« ist. Kann es ein schöneres Bild für die einträchtige weibliche Hingabe an ein gemeinsames Gefährt geben?
Ein nicht weniger erotisches Verhältnis zum Auto unterhielt in jenen Tagen Erika Mann, die Tochter des Literaturnobelpreisträgers, die sich anders als die Boveri mit den Nationalsozialisten weder arrangieren konnte noch wollte. 1929 brüskierte sie ihren Noch-Ehemann Gustaf Gründgens damit, dass sie die Hauptrolle ausschlug, die dieser ihr in einer von ihm inszenierten Produktion am Deutschen Theater Berlin angeboten hatte, und lieber eine Ausbildung zum Auto-Monteur machte. Der kühne Wechsel des Rollenfachs zahlte sich aus: Als Erika mit ihrem Bruder Klaus eine zweimonatige
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