Die deutsche Seele
one«. Sollte der deutsche Autowahn am Ende doch für etwas gut gewesen sein?
>Eisenbahn, Forschungsreise, Gründerzeit, Wanderlust, das Weib
Feierabend
Wenn die Sonne hinterm Schwarzwald oder in der Nordsee versinkt, geht ein Seufzer der Erleichterung durchs Land: Endlich Feierabend! Das heißt: Im Zeitalter der gewerkschaftlich geregelten 3 5-Stunden-Woche darf die Sonne den Seufzer voll mithören. Wie viel besser haben wir es doch als unsere Urahnen, die vor zweihundert Jahren geschlagene 82 Stunden pro Woche malochten, und sich um 1900 noch zehn Stunden pro Tag, sechs Tage die Woche abrackern mussten. Kein Zweifel, die protestantische Verfleißigung der Deutschen ist längst der Entfleißigung gewichen. So sehr, dass es Bundeskanzler Helmut Kohl im Jahre 1993 zu dem legendären Wutausspruch trieb: »Eine erfolgreiche Industrienation, das heißt eine Nation mit Zukunft, lässt sich nicht als kollektiver Freizeitpark organisieren.«
Aber hier soll es nicht um die Frage gehen, ob die Deutschen noch so viel arbeiten, wie sie könnten, wenn sie müssten (oder umgekehrt). Hier soll es darum gehen, was die Deutschen mit all der ungeheuren Zeit anfangen, die ihnen nach getaner Arbeit bleibt. Dass diese Frage selbst in Jahrhunderten, in denen die Deutschen im Vergleich zu heute über weniger als halb so viel Freizeit verfügten, keine unproblematische war, zeigt sich, wenn man liest, was der Eisenacher Arzt und Geschichtsschreiber Christian Franz Pauliini im Jahre 1700 in seinem Philosophischen Feierabend anmahnt: »Denn ja mein Gebrauch nicht ist, die edlen Stunden mit Würfeln, Karten, Trinken, unnützem Gewäsch und dergleichen Lappalien zu verderben, sondern solche bestmöglich in Acht zu nehmen, recht zu brauchen, und durch Mühe und Redlichkeit immer was Gutes zu wirken.«
Die Arbeit hört auch nach der Arbeit nicht auf. Wer ein rechter Arbeiter im Weinberg des Herrn sein will, der nutzt den Feierabend nicht zur vulgären Zerstreuung, sondern um sich zu bilden oder andere schöne Taten zu vollbringen. Das spätere Bürgertum hat eine ganze Reihe von Institutionen geschaffen, mit deren Hilfe die »edlen Stunden« sinnvoll gefüllt werden konnten: Hausmusikabende, Lesezirkel, gemeinnützige Vereine. Noch später, um 1900, kommen die Volkshochschulen hinzu, die auch den Arbeiter zum gehobenen Feierabend animieren wollen.
Es wäre falsch, in diesen bildungsbürgerlichen Bemühungen vorrangig die Weiterführung des Arbeitskrampfes mit anderen Mitteln zu sehen. Der Feierabend wurde tatsächlich als feierlicher Höhepunkt des Tages empfunden. So erklärt der Kulturhistoriker Wilhelm Heinrich Riehl 1880 im Vorwort zu seiner Novellensammlung Am Feierabend, dass allen Erzählungen eins gemein sei: »Die Stimmung des heiteren Behagens, der tiefinneren Versöhnung, des reinen, klaren Abendfriedens. In diesem Sinne nannte ich das Buch: Am Feierabend. Nicht weil ich als Novellist nunmehr Feierabend hätte machen wollen, >Schicht machen<, wie die Bergleute sagen, - auch nicht, weil ich die […] Geschichten so nebenher am Feierabend geschrieben hätte, wann ich eben nichts Gescheiteres zu tun gewusst, sondern weil der Friede des Feierabends in meiner Seele einzog, so oft ich die Feder zu diesen kleinen Gebilden ansetzt und weil ich den Feierabend auch in die Seele meiner Leser tragen möchte.«
Des Tages Hektik geht. Des Abends Friede kommt. In diesem Sinne waren auch die Bildungsbürger des 19. Jahrhunderts am Chillen, nicht mit dem iPad, sondern mit der Feder - oder zumindest einem Buch - in der Hand. Und selbst die schlichteren Gemüter, die nicht schrieben oder lasen, träumten vom stillen Frieden draußen in der Natur, der sich über Auen und Felder senkt, während die Vöglein ein letztes Lied anstimmen, der fleißige Bauer seine Sense wohlverdient in die Scheune stellt und die Dorfgemeinschaft sich zur Abendandacht unter freiem Himmel versammelt: »Kein schöner Land in dieser Zeit / Als hier das unsre weit und breit / Wo wir uns finden / Wohl unter Linden / Zur Abendzeit …« Allerdings dürfte dieser Lobgesang öfter in Städten erklungen sein als dort, wo der bukolische Abendfriede angeblich zu Hause war.
Bei der abendlichen Einkehr ins eigene Gemüt handelt es sich indes um mehr als um bräsige Gemütlichkeit. Wie verdrängt auch immer, schwingt in den melancholisch gefärbten Stunden zwischen Sonnenuntergang und Nachtruhe mit, dass etwas zu Ende geht, und du nur beten bzw. singen kannst, dass du morgen
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