Die Deutschen
Stellvertretung und Rettung des monarchischen Gedankens durch eine »demokratische Lösung«.
Der Kaiser läßt darauf antworten: »Seine Majestät haben es völlig abgelehnt, auf die Vorschläge Euer Großherzoglichen Hoheit in der Thronfrage einzugehen und halten es nach wie vor für ihre Pflicht, auf ihrem Posten zu bleiben.«
Am Abend findet in Spa ein Kriegsrat statt zwischen Generalfeldmarschall Hindenburg, dem Ersten Quartiermeister General Groener und Generaloberst von Plessen, dem Kommandanten des Großen Hauptquartiers. Gegenstand der Beratung: der Befehl des Kaisers, »eine Operation gegen die Heimat einzuleiten«. Hindenburg weiß, daß diese Operation undurchführbar ist, hat aber nicht den Mut, seinem Kaiser ins Gesicht zu sagen, daß er »nie den Befehl erteilen wird, Deutsche auf Deutsche schießen zu lassen«. Er läßt den Kanzler im Stich.
Es ist Abend. Der Reichskanzler beschwört den Kaiser 20 Minuten am Telefon: »Die Abdankung ist nötig geworden, um den Bürgerkrieg zu vermeiden, um also die Mission des Friedenskaisers bis zum Schlusse durchzuführen. Gelingt dies, so wird Euer Majestät Name in der Geschichte gesegnet werden. Erfolgt nichts, so wird die Forderung im Reichstag gestellt und bewilligt werden. Die Truppe ist nicht mehr sicher, Köln ist in den Händen der Arbeiter- und Soldatenräte, auf dem Braunschweiger Schloß Euer Majestät Tochter weht die rote Fahne, München ist Republik, in Schwerin tagt ein Soldatenrat. Ich sehe zwei Möglichkeiten: Abdankung, Thronverzicht des Kronprinzen und Regentschaft für den Enkel, oder Abdankung, Ernennung eines Stellvertreters, Nationalversammlung: das fordert der Ausschuß des Reichstages, scheint mir auch das Bessere, weil es noch alle Chancen für die Monarchie bietet. Was geschieht, müßte sofort geschehen, nach dem ersten Blutvergießen verlöre es die Wirkung. Mit Hilfe der Sozialisten wäre die Lage auf diese Art noch zu retten, sonst kommt die Republik. Freiwillig muß das Opfer sein, um Euer Majestät Namen in der Geschichte zu erhalten.«
Der Kaiser antwortet: »Unsinn! Die Truppe steht zu mir! Morgen marschieren wir gegen die Heimat!«
9. November 1918, 7 Uhr morgens: Im Vorwärtsgebäude tagen die Betriebsvertrauensleute der spd und warten auf die Abdankung des Kaisers oder auf die Nachricht, daß die Arbeiter zu Aktionen übergegangen sind. Plötzlich stehen Schwerbewaffnete im Zimmer, eine Abordnung der Naumburger Jäger, die wissen wollen, was gespielt wird. Der spd -Abgeordnete Otto Wels entschließt sich, in die Alexanderkaserne mitzukommen und zu den Soldaten zu sprechen. Er wird stumm empfangen. Am Ende bringen sie ein Hoch aus auf den »freien Volksstaat« und erklären sich bereit, einen Bürgerkrieg zu verhindern. Die Offiziere schweigen. Keiner von ihnen schießt. Die 2. Gardedivision, bestehend aus den königlich preußischen Leibregimentern, hat den Offizieren den Gehorsam aufgekündigt und sich gegen deren ausdrücklichen Befehl in Bewegung gesetzt, um nach Hause zu marschieren.
9. November 1918, 10 Uhr vormittags: In den Berliner Betrieben sind die Arbeiter zur Frühschicht angetreten. Sie diskutieren über Flugblätter der Revolutionären Obleute und des Spartakusbundes, die zum Massenstreik und zu Demonstrationen aufrufen.
Sechs Forderungen stehen auf der Tagesordnung:
1. Befreiung aller zivilen und militärischen Gefangenen.
2. Aufhebung aller Einzelstaaten und Beseitigung aller Dynastien.
3. Wahl von Arbeiter- und Soldatenräten in allen Fabriken und Truppenteilen.
4. Sofortige Aufnahme der Beziehungen zu den übrigen deutschen Arbeiter- und Soldatenräten.
5. Übernahme der Regierung durch die Beauftragten der Arbeiter- und Soldatenräte.
6. Sofortige Verbindung mit dem internationalen Proletariat, insbesondere mit der russischen Arbeiterrepublik.
In einzelnen Betrieben werden Waffen und Munition verteilt. In anderen Betrieben werden Transparente angefertigt mit den Parolen: »Nieder mit dem Krieg!“
»Nieder mit der Monarchie!“
»Wir wollen Frieden und Brot!« Die Schwarzkopff-Arbeiter gehen als erste auf die Straße. Es bildet sich ein Demonstrationszug, der etwa 4000 Menschen umfaßt. Später schließen sich die Arbeiter der aeg Brunnenstraße und der aeg Ackerstraße an. Wie es der Aufstandsplan vorsieht, ziehen die Demonstranten in langen Kolonnen nach dem Stadtinnern. Unter den Demonstranten befinden sich auch viele Frauen. Überall wehen rote Fahnen. Die Kasernen sind das erste Ziel: es
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