Die Deutschen
gilt, die Soldaten für die Sache der Revolution zu gewinnen. Die Züge aus Moabit und Charlottenburg halten vor der Kaserne am Lehrter Bahnhof. Das Tor ist verschlossen. Die Massen rufen: »Brüder, schießt nicht auf uns! Macht Schluß mit dem Krieg! Weg mit Kaiser Wilhelm!« Die bewaffneten Arbeiter gehen in Feuerstellung, aber die Unterhändler haben Erfolg; die Soldaten verlassen die Kaserne, reihen sich in die Demonstration ein, um am Zug zur »Maikäferkaserne« teilzunehmen.
Kaiserhauptquartier 10 Uhr morgens: Der Reichskanzler läßt durch den Vortragenden Rat Wahnschaffe über das Telefon laufend die neuesten Berichte durchgeben: das Alexander-Regiment hat kapituliert; die Jüterboger Artillerie ist zu den Arbeitern übergegangen; die Naumburger Jäger haben sich dem Berliner Arbeiter- und Soldatenrat unterstellt.
Zur gleichen Stunde versammeln sich im Garten der Kaiservilla Seine Majestät, Feldmarschall von Hindenburg, General Groener, der Kommandant des Großen Hauptquartiers von Plessen, der rasch herbeizitierte Chef des Generalstabes einer Heeresgruppe Graf von der Schulenburg und zwei Offiziere mit unbewegten Gesichtern. Einziger Punkt der Tagesordnung: »Vortrag über die vom Kaiser befohlene Operation gegen die Heimat.«
Hindenburg bittet S. M. ihn vom Vortrag zu entbinden, da es ihm »namenlos schwerfällt, seinem Obersten Kriegsherrn von einem Entschluß abraten zu müssen, den er dem Herzen nach freudig begrüßt, dessen Ausführung er aber nach reiflicher Überlegung als unmöglich bezeichnen muß«. General Groener spricht mit rauheren Worten das gleiche aus. Von Plessen und von der Schulenburg plädieren dafür, auf die Rebellen zu schießen. »Dem Heer soll gesagt werden, daß ihm seine Schwesterwaffe, die Marine, mit jüdischen Kriegsgewinnlern und Drückebergern in den Rücken gefallen sei und die Verpflegung sperre.«
Der Kaiser, der anfänglich gleicher Auffassung ist, entscheidet schließlich, daß der Gedanke, die Heimat durch eine Operation des Feldheeres wiederzuerobern, aufzugeben sei. Er wolle dem Vaterland den Bürgerkrieg ersparen. Dagegen spricht er die Absicht aus, nach geschlossenem Waffenstillstand in friedlicher Weise an der Spitze des Heeres in die Heimat zurückzukehren.
Da erhebt sich General Groener und erklärt kalt: »Das Heer wird unter seinen Führern und Kommandierenden Generälen in Ruhe und Ordnung in die Heimat zurückmarschieren, aber nicht unter dem Befehl Eurer Majestät, denn es steht nicht mehr hinter Eurer Majestät.«
Der Kaiser, erregt: »Exzellenz, diese Erklärung verlange ich von Ihnen schriftlich! Schwarz auf weiß will ich die Meldung aller Kommandierender Generale haben, daß das Heer nicht mehr hinter seinem Obersten Kriegsherrn steht! Hat es mir nicht den Fahneneid geschworen?!«
Groener: »Der ist in solcher Lage eine Fiktion.«
Am Telefon häufen sich die Anrufe aus der Reichskanzlei, in denen S. M. der Kaiser aufgefordert wird, seine Abdankung auszusprechen. Die Sitzung wird unterbrochen.
Gegen 12 Uhr steht der Demonstrationszug, an dessen Spitze die Schwartzkopff-Arbeiter marschieren, vor der »Maikäferkaserne« in der Chausseestraße. Soldaten jubeln den Demonstranten zu. Sie rufen, man solle sie herauslassen, sie seien eingesperrt und würden von Offizieren und der Wachmannschaft aus Weißensee gehindert, die Kaserne zu verlassen. Die bewaffneten Soldaten des Demonstrationszuges brechen die Tore auf. Einer der ersten, der hineinstürmt, ist Erich Habersaath, ein Führer der Berliner Arbeiterjugend, 26 Jahre, Arbeiter bei Schwartzkopff. Vor einer der letzten Türen fallen Schüsse; ein Offizier hat sie abgegeben. Hinter Habersaath fallen zwei Arbeiter der aeg. Schließlich werden die Offiziere überwältigt. Ein Teil der »Maikäfer« schließt sich den Demonstranten an, ein anderer Teil bleibt mit den Verwundeten in der Kaserne, der Rest marschiert ab – Richtung Heimat.
In Spa gruppieren sich die Herren wieder um den Kaiser. Der Gouverneur von Berlin meldet telefonisch: »Alle Truppen sind zu den Aufständischen übergelaufen. Ich habe keinen Mann mehr in der Hand.« S. M. ist durch diese Meldung beeindruckt und scheint entschlossen, seine Person zum Opfer zu bringen, um den Bürgerkrieg zu vermeiden. Aber Graf von der Schulenburg rät, S. M. solle als Kaiser abdanken, nicht aber als König von Preußen. Da der Feldmarschall Hindenburg und der eben eingetroffene Kronprinz diese unausführbare Idee ausgezeichnet finden, klammert
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