Die Deutschen
Berliner Lustgarten hält er eine von den Besitzbürgern bejubelte Ansprache: »Ich werde diese Truppen Euch, wenn auch nicht sogleich, doch bald hierher führen; sie sollen sicher kommen. Aber nicht gegen Euch Berliner! Sondern zu Eurem Schutze, der wahren Freiheit, die der König gegeben, und zur Aufrechterhaltung des Gesetzes. Gefällt Euch das, Berliner? ( Zurufe: Ja! Ja! ) Das freut mich! Für Euch, mit Euch werden wir auftreten und handeln! Wie traurig finde ich Berlin wieder: In den Straßen wächst Gras, die Häuser sind verödet, die Läden voll Ware ohne Käufer, der fleißige Bürger ohne Arbeit, ohne Verdienst, der Handwerker verarmt. Das muß anders werden; ich bringe Euch das Gute mit der Ordnung, die Anarchie muß aufhören. Ich verspreche es Euch, und ein Wrangel hat noch nie sein Wort gebrochen.«
In Breslau und Köln folgen die Truppenkommandeure dem Beispiel ihres Oberbefehlshabers. Das stärkt den Mut des Berliner Hofes, der immer mehr Druck auf die Regierung ausübt, so daß sie am 17. Oktober ein neues Gesetz erläßt, demzufolge die Bürgerwehr zum Werkzeug der Polizei »zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit« degradiert und ihr der Charakter einer selbständigen politischen Körperschaft genommen wird; sie wird der Gemeindeverwaltung und bei Bedarf der Regierung direkt unterstellt, und sie hat dem König Treue zu geloben.
Es ist klar, daß dieser Schlag gegen die Revolution gerichtet ist. Bei einer großen Protestdemonstration trägt ein Esel das »verdammte Gesetz«. Auf dem Platz vor der Kammer wird es verbrannt. Die Bürgerwehr schaut, das Gewehr im Arm, mit offensichtlicher Befriedigung dem Schauspiel zu.
In der Nationalversammlung wird eine Reihe von Gesetzen angenommen oder doch beraten; sie alle beschränken die Privilegien der Grundbesitzer und des Adels. Durch das Jagdgesetz erhalten die Bauern das Recht, Waffen zu tragen; das Gesetz über die Todesstrafe nimmt dem König die Macht, über Leben und Tod seiner Untertanen zu entscheiden; das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit gewährt jedem Bürger das Recht, frei über seine Wohnung ru verfügen, und sichert ihn gegen willkürliche Eingriffe der Behörden und des Militärs; die Agrargesetze sollen den Privilegien der Großgrundbesitzer endgültig ein Ende bereiten. Und in der Einleitung der Verfassung werden in dem Satz »Wir Friedrich Wilhelm von Gottes Gnaden …«, die Worte »von Gottes Gnaden« gestrichen – mit 217 gegen 184 Stimmen.
Die Hofkamarilla in Sanssouci läßt indessen von einem der fanatischsten Paladine des Königs erklären: »… Wozu seine Kräfte darauf verwenden, um diese Dinge zu kämpfen! … Ist es nicht richtiger, sie auf die Hauptsache zu verwenden, auf die Erhaltung der königlichen Macht, selbst wenn man dadurch die Despotie vorbereitet, auf die Erhaltung des Eigentums und auf die Abwehr des Kommunismus … Man muß Ordnung machen und auf Ordnung halten, das ist die Hauptsache!« Ein Jurist des Königs faßt zum Geburtstag Seiner Majestät eine Adresse ab, die sich wie eine Bußpredigt an das Volk wendet. Aber der Ministerpräsident von Pfuel weigert sich, den Erlaß gegenzuzeichnen, in dem auch wieder die Formel »von Gottes Gnaden« verwendet wird: der König beharrt darauf, daß er von Gottes Gnaden und nicht von Volkes Gnaden König sei, und befiehlt den ungeänderten Abdruck. Langsam läßt der König die Maske fallen. Er erklärt: »Noch haben wir keine Verfassung … Ich habe durch meine Worte eine Gasse in den Wall revolutionärer und gottloser Theorien getrieben … Meine lieben Herren und treuen Freunde, da ist hinfort Ihr Platz in der Gasse, auf der Bresche, die Ihr König vor Ihnen hergemacht, nicht im Rücken Ihrer Ämter … Ihr König, meine Herren, geht voran. Er weicht, wahrhaftig nicht. Verlassen Sie ihn, so bleibt er auf der Bresche.«
Mitte Oktober kommt es wieder zu Straßenkämpfen in Berlin; die Bürgerwehr wird gezwungen, mit der Waffe in der Hand gegen die Aufständischen vorzugehen. Über den Köpfen der Arbeiter und auf den Barrikaden wehen rote Fahnen. Man ruft: »Es lebe die Republik!« Elf Arbeiter werden getötet. Der Abgeordnete Beerends stellt am 18. Oktober einen Antrag, in dem er fordert: »Die sofortige Bestrafung der schuldigen Bürgerwehrmänner und Kompanien, die ehrenvolle Bestattung der Toten durch die Arbeiter auf öffentliche Kosten, die Pensionierung der Hinterbliebenen und die Herstellung der Verwundeten, gleichfalls auf
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