Die Deutschen
ohne Antwort zu entfernen. Der Abgeordnete Jacoby, ein alter Vorkämpfer der Demokratie, richtet an den König die Frage, ob er nichts über die Lage des Landes hören wolle. Der König antwortet brüsk: »Nein.« Er ist bereits an der offenen Tür, als ihm Jacoby erregt nachruft: »Das ist das Unglück der Könige, daß sie die Wahrheit nicht hören wollen!«
Am 9. November erscheinen die neuen Minister zum ersten Male vor der Nationalversammlung, aber nur um der Verlesung zweier königlicher Kabinettsorders beizuwohnen. Die erste teilt mit, daß die Nationalversammlung ihre Verhandlungen abzubrechen und am 27. November wieder in der Stadt Brandenburg zusammenzutreten habe. Die zweite verhängt – unter Auflösung der Bürgerwehr – den Belagerungszustand über Berlin.
Minister Brandenburg will sprechen. Der Präsident: »Sie haben nicht das Wort!« Brandenburg: »Ich bitte darum!« Der Präsident erteilt ihm das Wort, und der Graf erklärt die Versammlung für geschlossen und ihre Beschlüsse fortan für illegal. Die Minister schicken sich an, den Saal zu verlassen. Von der Linken ruft man: »Verhaften! Verräter!« Die Abgeordneten drängen mit geballten Fäusten gegen die Tribüne. Aber die Minister können sich noch entfernen. Obwohl auch einige Abgeordnete der Rechten den Saal verlassen, bleibt das Haus beschlußfähig. Es bestreitet der Krone das Recht zu dem geschehenen Willkürakt und entschließt sich zu einer neuen Sitzung am Nachmittag.
In der Nacht zum 10. November melden sich Delegationen der Arbeitervereine und bieten der Nationalversammlung ihren Schutz an. 3000 Bauarbeiter bitten den Kommandanten der Bürgerwehr, sie zu bewaffnen, was dieser ablehnt. Ein Arbeiterdelegierter erklärt im Namen von 30 Berliner Betrieben: »Sie bieten Euch ihren Arm und ihr Herzblut gegen jeden Feind an, der Hochverrat üben wollte an Euch und an den Freiheiten des Volkes!« Aber die Nationalversammlung ist nicht willens, gewaltsamen Widerstand zu leisten. Während am Morgen des 10. November die Abgeordneten den »passiven Widerstand« beschließen, setzen sich die Truppen unter General Wrangel nach Berlin in Marsch. Um 2 Uhr mittags trifft die Spitze am Gendarmenmarkt ein. Bürgerwehr bewacht das Schauspielhaus; aus den Nebenstraßen drängt Volk heran. Man hört Pferdegetrappel und dann und wann Kommandos, sonst herrscht bedrohliche Stille. Wrangel reitet auf den Kommandeur der Bürgerwehr zu und fragt, warum sie hier stehe. Der Kommandant antwortet: »Um die Versammlung zu schützen.“
»Das will ich mit meinen Truppen auch. Sie sind gewohnt zu biwakieren; ich werde so lange hier stehen bleiben, bis die Versammlung auseinandergeht, und wenn es acht Tage dauern sollte.« Der General steigt von seinem Pferde, setzt sich auf einen Stuhl, der ihm aus einem Hause gebracht wird, und wartet. Bald erscheint der Kommandeur der Bürgerwehr vor ihm und erklärt: »Die Bürgerwehr ist entschlossen, die Freiheit des Volkes und die Würde der Nationalversammlung zu schützen und wird nur der Gewalt weichen.« Wrangel zieht seine Uhr und sagt: »Sagen Sie Ihrer Bürgerwehr, die Gewalt wäre nun da. Ich werde nun mit den Truppen für die Ordnung einstehen. Die Nationalversammlung wird binnen fünfzehn Minuten den Sitzungssaal verlassen, und dann wird auch die Bürgerwehr abziehen.«
Die Versammlung rafft sich noch zu einem Protest auf, und dann wird die Sitzung geschlossen. Der Staatsstreich ist vollzogen.
Die Linke versucht, sich noch weiter zu versammeln, und beschließt am 15. November Steuerverweigerung gegen die Regierung. In diese letzte Sitzung dringt ein Major mit vier Offizieren und einem Zug Soldaten ein und fordert die Abgeordneten auf, den Saal zu räumen, widrigenfalls er Gewalt anwenden müsse. Der Vorsitzende von Unruh schließt die Sitzung, und die Abgeordneten verlassen den Saal.
An den Wänden der Berliner Häuser klebt eine Verfügung des Generals von Wrangel, in der er »in Verfolg des erklärten Belagerungszustandes« alle politischen Rechte der Bürger für null und nichtig erklärt. Und der König gibt aus eigener Machtvollkommenheit dem Volk eine Verfassung.
Chronik Dezember 1848-Mai 1849
Der Maiaufstand in Dresden. 3.–9. Mai 1849
Aufstandsversuch in Rheinpreußen. 9.–10. Mai 1849
1848 21. Dezember: Die durch die deutsche Nationalversammlung verabschiedeten Grundrechte der Reichsverfassung werden zum Reichsgesetz erhoben: Gleichheit vor dem Gesetz, Abschaffung der Standesprivilegien,
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