Die Deutschen
öffentliche Kosten, und endlich die Auszahlung zweier Tagelöhne an alle an dem Aufstand beteiligten Arbeiter und Befreiung aller Gefangenen.« Als der König in einer Kabinettsorder der Bürgerwehr seinen Dank für ihre tapfere Haltung ausspricht, schämt sich diese so sehr der von ihr erzwungenen Taten, daß sie die königliche Order zurückweist.
Die Arbeiter wissen nicht, was hinter den königlichen Fassaden geschieht; aber sie haben Grund genug, beunruhigt zu sein. Sie sammeln sich um das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, wo die Abgeordneten tagen. Mitglieder der Rechten und Regierungskommissare werden beleidigt und tätlich angegriffen; man nennt sie »nicht Vertreter, sondern Verräter des Volkes«.
Am 31. Oktober stellt der Abgeordnete Waldeck den Antrag, »das Staatsministerium aufzufordern, zum Schutze der in Wien gefährdeten Volksfreiheit alle dem Staate zu Gebote stehenden Mittel und Kräfte schleunigst aufzubieten, »also mit anderen Worten, das ganze preußische Heer sofort in Österreich einrücken und auf Wien marschieren zu lassen«. Während der Verhandlung wird der Sitzungssaal von Volksmassen belagert. Ein Offizier der Bürgerwehr erläßt den Befehl, kein Mitglied der Rechten vor Beendigung der Sitzung aus dem Hause heraus zu lassen. Nur mit Lebensgefahr können die Abgeordneten der Rechten und die Minister durch Nebenpforten das Haus verlassen.
Am Abend des 31. Oktober fordert der König den Minister von Pfuel auf, wegen der Exesse dieses Tages General von Wrangel mit den Truppen in Berlin einrücken zu lassen. Pfuel legt sein Amt nieder. Als Graf Brandenburg sich bereiterklärt, die Ministerpräsidentschaft zu übernehmen, ist es nicht leicht, geeignete und ihm genehme Kollegen zu gewinnen. In einer Liste, welche dem König vorgelegt wird, findet sich auch Bismarcks Name. Der König schreibt an den Rand: »Nur zu gebrauchen, wenn das Bajonett schrankenlos waltet.« Graf Brandenburg selbst sagt zu Bismarck in Potsdam: »Ich habe die Sache übernommen, habe aber kaum die Zeitungen gelesen, bin mit staatsrechtlichen Fragen unbekannt und kann nichts weiter tun, als meinen Kopf zu Markte tragen. Ich brauche einen Mann, dem ich traue und der mir sagt, was ich tun kann. Ich gehe in die Sache wie ein Kind ins Dunkel, und weiß niemanden als Otto Manteuffel (Direktor im Ministerium des Innern), der die Vorbildung und zugleich mein persönliches Vertrauen besitzt, der aber noch Bedenken hat. Fahren Sie nach Berlin hinüber und bewegen Sie Manteuffel.« Bismarck redet von 9 Uhr bis Mitternacht auf Manteuffel ein und gewinnt ihn für die Regierung. Am 7. November morgens kommt der zum Kriegsminister ernannte General von Strotha zu Bismarck, weil ihn Brandenburg an ihn verwiesen hat, um sich die Situation klarmachen zu lassen. Bismarck tut das nach Möglichkeit und fragt: »Sind Sie bereit?« Strotha antwortet mit der Gegenfrage: »Welcher Anzug ist vorgeschrieben?« – »Zivil«, antwortet Bismarck. »Das habe ich nicht«, sagt Strotha. Bismarck läßt ihm durch einen Lohndiener noch vor der festgesetzen Stunde einen Anzug aus einer Kleiderhandlung beschaffen und rettet damit die Regierungsbildung.
Für die Sicherheit der Minister werden mannigfache Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Zunächst werden im Schauspielhaus außer einer starken Polizeitruppe 30 der besten Schützen des Gardejägerbataillons so untergebracht, daß sie auf ein bestimmtes Signal im Saal und auf den Galerien erscheinen können, wenn die Minister tätlich bedroht werden.
Entsprechende Vorkehrungen werden an den Fenstern des Schauspielhauses und in verschiedenen Gebäuden am Gendarmenmarkt getroffen, in der Absicht, den Rückzug der Minister aus dem Schauspielhause gegen etwaige feindliche Angriffe zu decken. Man nimmt an, daß auch größere dort versammelte Massen sich zerstreuen werden, sobald aus verschiedenen Richtungen Schüsse fallen.
Als Graf Brandenburg in der Versammlung von seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten Mitteilung macht, ist die Bestürzung groß. Die Linke will, daß die Versammlung sich in Permanenz erkläre und mit einem Aufruf an das Volk wende. Die Mehrheit entscheidet sich für eine Deputation zum König, um gegen das Ministerium Brandenburg zu protestieren und die Einsetzung eines volkstümlichen Kabinetts zu erbitten. Lange müssen die Abgeordneten antichambrieren, bis sie beim König vorgelassen werden, der sich schließlich die Rede des Vorsitzenden von Unruh anhört. Dann macht er Miene, sich
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