Die Donovans 1: Die gefährliche Verlockung
hatte.
Manchmal, wenn er etwas tat, hielt er mitten in der Bewegung inne und überlegte, was sie jetzt gerade wohl tun mochte. Es war mittlerweile so schlimm geworden, dass er nicht richtig schlafen konnte, wenn sie nicht neben ihm lag. Und wenn er dann morgens erwachte, begann er den Tag mit einem nagenden Gefühl von Enttäuschung.
Ein schlechtes Zeichen, dachte er und griff nach dem Handtuch, um sich das Gesicht abzutrocknen. Das Zeichen dafür, dass er längst einen Schlussstrich hätte ziehen müssen. Warum waren keine Alarmsirenen losgegangen? Keine kleine Stimme in seinem Hinterkopf, die warnende Worte gemurmelt hatte?
Anstatt sich vorsichtig zurückzuziehen, war er mit voller Wucht vorgeprescht.
Aber noch war er glücklicherweise nicht über die Klippe gestürzt. Nein, nicht Nash Kirkland. Er holte tief Luft und warf das Handtuch beiseite. Es war einfach nur das Neue, das ihn reizte. Sicher würden die Gefühle, die Morgana in ihm erweckte, bald vergehen.
Als er sich unter die Dusche stellte, versicherte er sich – wie jeder Abhängige –, dass er alles unter Kontrolle hatte. Er konnte jederzeit aufhören.
Trotzdem konnte sein Verstand es nicht lassen, weiter über dieses Problem nachzudenken. Vielleicht hatte er alles unter Kontrolle, aber was war mit Morgana? Steckte sie schon zu tief drin? Wenn sie ebensolche Gefühle hatte wie er, könnte sie vielleicht ja schon an … ja, an was denken?
Ein Heim am Stadtrand? Handtücher mit Monogramm? Einen Traktorrasenmäher?
Während das kühle Wasser auf sein Gesicht prasselte, musste er grinsen. Und da behauptete er von sich, kein Chauvinist zu sein. Er sorgte sich, weil Morgana vielleicht Hoffnungen auf Ehe und Familie hegte, nur weil sie eine Frau war. Lächerlich. Sie war genauso wenig daran interessiert wie er, den tödlichen Sprung von der Klippe zu machen.
Seine Fantasie begann zu arbeiten.
Innen. Tag. Uberall im Zimmer ist Spielzeug verteilt, der Wäschekorb quil t über, schmutzige Kleidung liegt verstreut herum. In einem Laufstall schreit ein kleines Kind. Der Held tritt auf, eine dicke Aktentasche in seiner Hand. Er trägt einen dunklen Anzug und eine überkorrekte Krawatte, sorgenvolle Linien auf seinem Gesicht. Ein Mann, der sich den ganzen Tag mit den Problemen anderer hat beschäftigen müssen und jetzt nach Hause kommt.
„Schatz“, ruft er, „ich bin zu Hause.“
Das Baby schreit weiter und rüttelt an den Gitterstäben. Resigniert stellt der Held die Tasche ab und nimmt das Kind auf den Arm. Die Windel ist so nass und schwer, dass sie durchhängt.
„Schon wieder zu spät.“ Die Ehefrau schlurft herein. Ihr Haar steht wirr um ihr Gesicht, das ärgerlich verzogen ist, die Lippen sind nur ein schmaler Strich. Sie trägt einen Bademantel, der bessere Tage gesehen hat, an den Füßen abgetragene Hausschuhe. Während der Held das Baby mit der nassen Windel auf dem Arm hält, beginnt die Ehefrau mit ihrer Litanei über sein Versagen, die defekte Waschmaschine, das verstopfte Waschbecken und endet schließlich mit dem Paukenschlag, dass sie schwanger ist.
Schon wieder.
Gerade als die Szene, die er sich da vorstellte, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen begann, drängte sich ein anderes Bild auf.
Nach Hause kommen. Geruch nach Blumen und Meer liegt in der Luft.
Der Held lächelt, weil er fast da ist, wo er sein will. An dem Platz, nach dem er sich sehnt. Einen Strauß Tulpen in der Hand, geht er auf die Haustür zu.
Sie wird geöffnet, bevor er sie erreicht.
Da steht sie. Das Haar zu einem langen Pferdeschwanz gebunden, lächelt sie ihn an. Ein hübsches dunkelhaariges Baby sitzt auf ihrem Arm, lacht glücklich und streckt die pummeligen Ärmchen aus. Er nimmt das Kind, reibt die Nase an der weichen Wange, nimmt den Duft von Babypuder und das dezente Parfüm seiner Frau wahr.
„Du hast uns gefehlt“, sagt sie und hebt ihr Gesicht, damit er sie küssen kann.
Nash blinzelte. Viel energischer als nötig, drehte er das Wasser ab.
Es stand wirklich schlimm um ihn. Aber da er wusste, dass diese zweite Szene mehr dem Reich der Fantasie entstammte als alles andere, was er je zu Papier gebracht hatte, hatte er immer noch alles unter Kontrolle.
Als er aus der Dusche stieg, fragte er sich, wie lange es wohl noch dauern würde, bis Morgana endlich hier war.
Morgana drückte das Gaspedal herunter und legte sich in die Kurve. Es war ein gutes Gefühl – nein, ein großartiges Gefühl –, so auf der von Bäumen beschatteten Allee
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