Die Donovans 2: Die Spur des Kidnappers
irgendjemandem war es gelungen, diese Distanz zu überbrücken.
Irgendjemand war bereits eingedrungen. Und er fragte sich immer noch, was das wohl zu bedeuten hatte.
Er hatte geträumt letzte Nacht. In seinem Traum hatte er genau hier gestanden. Auf der anderen Seite des Fensters war eine Frau gewesen.
Eine Frau, nach der er sich verzehrt hatte.
Aber er war so müde gewesen, so leer und ausgebrannt, dass er nicht die Konzentration aufgebracht hatte. Und dann hatte sie sich aufgelöst und war verschwunden.
Wogegen er überhaupt nichts einzuwenden hatte. Im Moment wollte er nichts anderes als schlafen. Ein paar faule Tage verbringen, sich um seine Pferde kümmern, den liegen gebliebenen Papierkram aufarbeiten und das Leben seiner Cousinen ein bisschen durcheinanderbringen.
Seine Familie fehlte ihm. Es war Ewigkeiten her, seit er das letzte Mal in Irland gewesen war, um seine Eltern, seine Tanten und Onkel zu besuchen.
Seine beiden Cousinen lebten nur ein paar Meilen die Küstenstraße hinunter, aber es schien Jahre, nicht Wochen her zu sein, seit er sie gesehen hatte.
Morgana wurde immer runder. Die Schwangerschaft bekam ihr.
Sebastian grinste. Ob sie wohl ahnte, dass sie Zwillinge erwartete?
Anastasia wusste es bestimmt. Sie wusste alles über Heilkunst und traditionelle Medizin. Aber sie würde nichts sagen, es sei denn, Morgana fragte sie direkt.
Er wollte sie sehen. Beide. Jetzt. Sebastian verspürte Lust, Zeit mit seinem Schwager zu verbringen, obwohl er wusste, dass Nash gerade mal wieder bis über beide Ohren in der Arbeit an seinem neuen Drehbuch steckte. Also, er könnte sich einfach auf sein Motorrad schwingen, nach Monterey fahren und in die Vertrautheit seiner Familie eintauchen. Die beiden Frauen, die gerade auf dem Weg zu ihm waren, mit ihren Bitten um Hilfe und ihren Ängsten, wollte er um jeden Preis vermeiden.
Aber er würde es nicht tun.
Er war durchaus kein uneigennütziger Mensch, hatte das auch nie von sich behauptet. Aber er verstand die Verantwortung, die ihm mit der Gabe übertragen worden war.
Man konnte nicht zu jedem Ja sagen. Falls man das tat, würde man langsam, aber sicher verrückt werden. Dann gab es Fäl e, da sagte man Ja, aber der Pfad war blockiert. Das war Schicksal. Und es gab Fälle, da wollte man ablehnen, unbedingt, aus Gründen, die einem selbst nicht so ganz klar waren. Und gleichzeitig wusste man, dass es völlig gleichgültig war, was man selbst wollte.
Das war auch Schicksal.
Er hatte das ungute Gefühl, dass dieser Fall hier einer von denen war, wo seine eigenen Wünsche nicht die geringste Rolle spielten.
Er hörte den Wagen, der sich den Hügel hinaufquälte, bevor er ihn sah.
Fast hätte er gelächelt. Sebastian hatte sein Haus bewusst hoch und abgelegen gebaut, der schmale Weg zu seinem Heim wirkte nicht sehr einladend. Selbst ein Seher hatte das Recht auf Privatsphäre.
Er erblickte den Wagen, ein grauer Punkt auf der Straße, und seufzte.
Da waren sie also. Je schneller er sie wieder loswurde, desto besser.
Er verließ sein Schlafzimmer und stieg die Treppen hinab. Ein großer Mann, fast zwei Meter, mit schmalen Hüften und breiten Schultern. Das schwarze Haar dramatisch aus der Stirn gekämmt, dunkle Locken, die sich über den Kragen seines Jeanshemdes kringelten. Er hatte, wie er hoffte, eine höfliche, aber abweisende Miene aufgesetzt. Das markante Gesicht, ein Erbe seiner keltischen Vorfahren, war tief gebräunt.
Mit seiner schlanken Hand, an deren einem Finger ein Amethystring aufblitzte, fuhr Sebastian über das glatte hölzerne Geländer der Treppe.
Ebenso wie die Sonne liebte er auch Strukturen, weiche und raue. Die letzten beiden Stufen übersprang er leichtfüßig.
Bis das Auto am Haus angekommen war und Mel das erste Erstaunen über die exzentrische, fließende Architektur des Hauses verarbeitet hatte, stand Sebastian auf der Veranda.
Das Haus wirkte, als hätte ein Kind eine Hand voll Bauklötze genommen und sie einfach hingeworfen, sodass sie wie zufällig zu einem faszinierenden Gebilde gefallen waren. Dieser Vergleich drängte sich Mel auf, als sie aus dem Wagen stieg und der Duft von Blumen, Pferden und des Meeres sie übermannte.
Sebastian ließ seinen Blick kurz und mit dem leisesten Hauch eines Stirnrunzeins über Mel wandern, dann wandte er sich Rose zu.
„Mrs. Merrick?“
„Ja, Mr. Donovan.“ Rose spürte den dicken Kloß in ihrer Kehle aufsteigen, der sich in ein Schluchzen verwandeln wollte. „Es ist sehr
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