Die Dornenvögel
Macht und die Absicht besaß, Justine umzustimmen. Tatsächlich rief dann jemand an, der die Macht besaß, jedoch keineswegs die Absicht. Denn er wußte nichts davon, daß Justine im Begriff stand, England zu verlassen. Er rief an, um sie zu bitten, bei der Dinner-Party, die er in seinem Haus in der Park Lane gab, die Rolle der Gastgeberin zu übernehmen.
»Was soll das heißen: dein Haus in der Park Lane?« fragte Justine verblüfft.
»Nun, da die britischen Bindungen an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft immer mehr zunehmen, verbringe ich inzwischen so viel Zeit in England, daß es praktikabel erschien, hier eine Art pied-a-terre einzurichten, und deshalb habe ich ein Haus in der Park Lane gemietet«, erklärte er.
»Himmelherrgott, Rain, du alter Heimlichtuer! Seit wann hast du es denn?«
»Seit ungefähr einem Monat.«
»Dann hast du mich neulich abend also praktisch an der Nase herumgeführt. Du verdammter Kerl!« Sie war so wütend, daß sie nicht weitersprechen konnte.
Er lachte leise. »Ich wollte es dir eigentlich sagen. Aber dann hat es mich so amüsiert, daß du dachtest, ich sei zwischen Bonn und London praktisch unentwegt in der Luft, daß ich das noch ein klein wenig genießen wollte.«
»Ich könnte dich umbringen!« sagte sie mit Tränen der Wut in den Augen.
»Herzchen, bitte! Sei nicht böse! Komm und spiel bei mir die Gastgeberin. Bei der Gelegenheit kannst du dich dann auch gleich nach Herzenslust im Haus umsehen.«
»Was heißt, bei der Gelegenheit? Fühlst du dich ohne einen Haufen Gäste drumherum, also mit mir allein, nicht sicher? Traust du dir nicht, oder traust du mir nicht?«
»Du wirst ja kein Gast sein«, erwiderte er ausweichend. »Du wirst die Gastgeberin sein, und das ist etwas ganz anderes. Willst du’s tun?« Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen vom Gesicht, sagte dann mürrisch: »Ja.«
Wie sich zeigte, wurde es viel angenehmer, ja vergnüglicher, als sie zu hoffen gewagt hatte. Das Haus in der Park Lane war ein wahres Prachthaus, und Rain sprühte so vor guter Laune, daß Justine davon sofort angesteckt wurde. Sie hatte für die Gelegenheit ein recht konventionelles Kleid gewählt, allerdings in Schockfarbe, was bei ihm unwillkürlich eine Grimasse auslöste. Aber dann hakte er sich bei ihr ein, und gemeinsam gingen sie durch das schöne Haus. Bis zum Eintreffen der Gäste war noch genügend Zeit. Im Verlauf des Abends behandelte er sie vor den anderen mit einer solch eigentümlichen Mischung aus Ungezwungenheit und Vertrautheit, daß sie das Gefühl hatte, die Gastgeberin nicht nur zu spielen, sondern wirklich zu sein. Seine Gäste waren politisch hochwichtige Leute, und Justine mochte gar nicht daran denken, wieviel von den Entscheidungen solcher Menschen abhing. Es zeigte sich nämlich eine eigentümliche Diskrepanz. Die Leute wirkten recht durchschnittlich, wenn nicht gar gewöhnlich.
»Weißt du«, sagte sie zu ihm, nachdem die Gäste gegangen waren, »ich hätte nicht einmal etwas dagegen gehabt, wenn einer von ihnen Symptome des Auserwähltseins gezeigt hätte. So in der Art von Napoleon oder Churchill. Wenn ein Staatsmann fest davon überzeugt ist, vom Schicksal auserwählt worden zu sein, so hat das durchaus eine ganze Menge für sich.
Wie ist das bei dir? Hältst du dich für auserwählt?«
Er zuckte unwillkürlich zusammen. »Eine solche Frage solltest du einem Deutschen nicht stellen, Justine. Nein, ich halte mich nicht für auserwählt, und ich würde keinem Politiker über den Weg trauen, der sich für auserwählt hält. Mag sein, daß einige von einem solchen Selbstverständnis profitieren, aber daß sie anderen damit nützen, bezweifle ich, und die meisten schaden ihrem Land unendlich, und oft genug nicht nur ihrem eigenen Land.«
Sie hatte nicht die Absicht, mit ihm darüber zu debattieren. Es hatte seinen Zweck erfüllt, das Gespräch war in Gang gebracht. Und so wechselte sie das Thema. »Die Ehefrauen waren ein merkwürdiges Gemisch, nicht?« sagte sie. »Auch wenn dir mein heißes Pink nicht behagt - du wirst doch zugeben müssen, daß ich weit präsentabler war als die meisten. Bei Mrs. X ging’s ja. Aber was Mrs. Y trug, war zum Schreien, und was Mrs. Z anhatte, schlicht zum Davonlaufen. Ich frage mich, wie halten das bloß deren Männer aus?« »Justine! Was soll das mit diesem X, Y, Z? Kannst du dir die Namen nicht merken? Na, ganz gut, daß du mir seinerzeit einen Korb gegeben hast. Du wärst mir vielleicht eine Frau
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