Die Drachen Der Tinkerfarm
Es gibt noch viel zu sehen, und die Zeit ist begrenzt. Kommt mit. Leider ist der Hippokamp im Krankenstall – könnte sein, dass er stirbt. Er ist eines unserer besten Stücke.«
»Manche Tiere sind für die Gefangenschaft nicht geeignet«, bemerkte Ragnar – ein wenig unwirsch, fand Lucinda.
»Ja, kann sein.« Gideon klatschte in die Hände, als hätte er eine schwierige, unerfreuliche Arbeit beendet. »Ich glaube, wir ersparen es uns für heute, euch alle Vögel hier oben zu zeigen. Der Vogel Roch ist noch klein, und ich habe ehrlich gesagt meine Zweifel, dass unser Phönix tatsächlich ein Phönix ist. Kommt jetzt mit. Vielleicht schaffen wir es noch, Eliot zu sehen – er kommt am Vormittag gern nach oben, aber der ist bald vorbei.«
Die Augen in seinem faltigen Gesicht strahlten, fast zu sehr. Lucinda konnte dem Blick nicht begegnen. Sie sah auf ihre Füße und fragte sich, was wohl als nächstes kam und was für ein Scheusal Eliot sein mochte.
Onkel Gideon fuhr sie in seinem kleinen Elektrowagen, nicht viel größer als ein Golfcart, zum »Teich«, wie er sagte. Die anderen folgten auf Mr. Walkwells Pferdewagen. Im Unterschied zu Walkwell hatte Onkel Gideon gegen motorisierte Fortbewegung offensichtlich nichts einzuwenden, ja, er schien sogar ins andere Extrem zu verfallen, denn er fuhr, als probte er für die Rennfahrerlizenz. Mit Anschnallen gab er sich gar nicht erst ab. »Auf die Weise kommen wir viel schneller dort an«, schrie er Lucinda und Tyler zu, während sie in eine Straßensenke hinabbretterten und beim Hinausdüsen buchstäblich vom Boden abhoben. »Und am Nachmittag zeigt sich Eliot kaum mehr.«
»Wer ist Eliot?«, fragte Lucinda, an den Rahmen von Gideons kleinem Flitzer geklammert. Ob sie nun durch einen Drachen oder ein Golfcart starben, so oder so hatte zweifellos ihr letztes Stündlein geschlagen.
»Mit etwas Glück wirst du ihn sehen. Wenn jemand wüsste, dass er hier ist, würde allein Eliot die Touristen zu Hunderttausenden anziehen!«
»Du willst Touristen herholen?«, wunderte sich Tyler.
»Was? Nein, niemals!« Onkel Gideon nahm kurz die Augen von der holperigen Straße und warf Tyler einen überaus strengen Blick zu. Sofort machte der Wagen einen solchen Satz, dass Lucinda Kopf und Ohren dröhnten. »Das ist das oberste Gebot auf der Ordinary Farm: Alles hier ist geheim. Geheim, geheim, geheim!«
»Schon klar.« Tyler verdrehte die Augen.
»Denkt immer daran, wenn die Welt dort draußen auch nur andeutungsweise erfährt, was hier los ist, wird das alles zerstören. Alles!« Er schrie die Worte, dann verstummte er und blickte dabei so grimmig, als hätte er Tyler und Lucinda dabei ertappt, wie sie ein Video von der Farm drehten, um esins Internet zu stellen. Die nächsten Minuten schlingerten sie die schlechte Straße entlang, ohne dass er etwas sagte, bis sie zuletzt aus einem Eichen- und Manzanitawäldchen ins Freie kamen.
»Wow! Das ist doch kein Teich.« Lucinda blickte auf die weite Wasserfläche, die ein mittelgroßes Tal ausfüllte. »Das ist ein See!«
»›Der Teich‹ ist der Name, den der alte Octavio dafür gebrauchte. Er hatte einen ziemlich … schrägen Humor«, sagte Gideon. »Was denkst du, warum er diesen Hof Ordinary Farm nannte?«
»Was lebt da drin?«, fragte Tyler. »Ein Wal?«
»Doch nicht so etwas Gewöhnliches.« Gideon kicherte in sich hinein. Er schien wieder besserer Stimmung zu sein. Lucinda hatte schon gedacht, er würde sie aus dem Wagen schmeißen, als er sein Geheimhaltungsgebot gebrüllt hatte. »So, wir parken hier und setzen uns dort still auf diese Felsen. Vielleicht bekommen wir ihn zu Gesicht.«
»Die Sonne ist angenehm«, sagte Onkel Gideon. »Ich sollte öfter an die Luft gehen, auch wenn Mrs. Needle mir abrät.«
Sie saßen seit einigen Minuten an einer hohen Stelle über dem Wasser. Plötzlich erspähte Lucinda etwas Langes und Silberiges, das sich unmittelbar unter der Wasseroberfläche bewegte. »Da!«, sagte sie. »Ich sehe etwas!«
»Pssst!«, machte Onkel Gideon. »Nicht so laut! Eliot ist eines der scheuesten Tiere, das wir haben.«
»Eliot? Ein komischer Name für …« Tyler verstummte abrupt und beobachtete mit offenem Mund, wie der lange silberige Hals ungefähr dreißig Meter von ihrem Platz entfernt die Wasserfläche durchbrach und eine Kielwelle hinter sich herzog. »… für … für eine Seeschlange«, beendete er seinen Satz. Der schimmernde, schlangenartige Kopf pendelte hin und her und
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