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Die Drachen Der Tinkerfarm

Die Drachen Der Tinkerfarm

Titel: Die Drachen Der Tinkerfarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Beale , Tad Williams
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stieß dann wieder ins Wasser. Der gebogene Hals blieb noch einen Moment über der Oberfläche sichtbar, dann verschwand auch er wie die Schlaufe eines gelösten Knotens.
    Lucindas Herz schlug schneller, während sie zusah, wie das anmutige Ungeheuer untertauchte und gleich darauf wieder nach oben kam, diesmal aber mehr vor Erregung als vor Furcht.
    »Der Name Eliot ist natürlich witzig gemeint«, sagte Gideon. »Ness, wie Loch Ness, versteht ihr? Eliot Ness?«
    »Von Loch Ness habe ich schon mal gehört«, sagte Lucinda leise und guckte gebannt. »Aber wieso Eliot? Das verstehe ich nicht.«
    »Macht nichts. Eliot Ness war ein berühmter Mann lange vor eurer Zeit, der Agent, der Al Capone zur Strecke gebracht hat. Unser Eliot jagt hinter den Fischen her wie der frühere Eliot hinter den Alkoholschmugglern. Seht!«
    Sie beobachteten das Seeungeheuer beim Fischfang, ein silberner Unterwasserblitz, bis die Sonne hoch am Himmel stand. Gideon war inzwischen geradezu unnatürlich ruhig, nachdem er den Vormittag mit seinen Tieren verbracht hatte, und verkündete schließlich, es sei an der Zeit, zum Mittagessen nach Hause zu fahren.

9
    TEE MIT DER LILIENKAISERIN
    A ls Lucinda am späten Nachmittag aufwachte, fühlte sie sich wie einmal in der fünften Klasse, als sie ganz schlimm Fieber gehabt hatte und fast zwei Wochen lang zu Hause bleiben musste. In den Phasen hohen Fiebers war ihr die Zeit in seltsamen Schüben vergangen, und manchmal hatte sie sich nur mit Mühe darüber klarwerden können, ob etwas, woran sie sich erinnerte, real oder bloß geträumt war.
    Wie jetzt.
    Sie hatte nur ein kurzes Nickerchen machen wollen, dann aber hatte sie das Bewusstsein verloren, als ob jemand sie mit einer Keule niedergeschlagen hätte. Jetzt lag sie auf ihrer Matratze, atmete die allzu warme Luft ein, und die Ereignisse des Vormittags waren ihr bis in die kleinsten Einzelheiten präsent.Es war schwer zu glauben, dass sie das alles wirklich erlebt hatte, die Einhörner und Drachen und Seeschlangen, aber einen derart verwickelten und realistischen Traum konnte es gar nicht geben.
    Höchstens, wenn man verrückt wurde.
    Das war ein beängstigender Gedanke. Lucinda setzte sich auf. Es war so heiß im Zimmer, dass sie richtig Atembeklemmung bekam. Sie quälte sich aus dem Bett, um sich im Bad ein Glas Wasser zu holen.
    Sie klopfte bestimmt eine Minute an Tylers Tür. Als er nicht aufmachte, ging sie mit dem Vorsatz die Treppe hinunter, etwas Besseres zum Trinken zu finden als warmes Leitungswasser. Kurz darauf musste sie erkennen, dass sie mal wieder irgendwo falsch abgebogen war. Sie befand sich in einem verstaubten Flur, dessen dunkelrot tapezierte Wände voll leerer Bilderrahmen hingen.
    Was ist bloß los mit diesem komischen Haus?, fragte sie sich. Warum verirre ich mich immerzu? Es war fast, als ob das Haus sich von ihr abwenden würde, wie wenn die anderen Mädchen in der Schule vor ihr Geheimnisse hatten und ihr die kalte Schulter zeigten. Lucinda fand es furchtbar, ausgeschlossen zu werden – es nahm ihr alle Kraft, so dass sie in ihrer Schwäche nur noch gemeine, motzige Sachen sagen konnte.
    Aber im Augenblick war niemand da, zu dem sie irgendetwas hätte sagen können – nur das Haus und seine langen, dunklen, verwinkelten Korridore voll drückend warmer Luft.
    Es war alles widersinnig, das Haus, die Farm. Woher bekam man richtige Drachen aus Fleisch und Blut? Hatte Tyler recht damit, dass Onkel Gideon der Kopf irgendeines wahnwitzigen gentechnischen Projekts wie in einem Sciencefictionfilm war? Was sonst konnte es sein? Die Tiere waren keine Roboter oder irgendwelche Spezialeffekte, das war gewiss. Meserethatte ihr direkt in die Augen geschaut. Lucinda hatte keinen Zweifel, dass diese … Drachin – konnte man das sagen? – real war.
    Sie blickte auf den abgewetzten Teppich und sein Muster grüner Rosen. Sie war noch nie zuvor in diesem Flur gewesen, ganz bestimmt nicht. Sie irrte mindestens zehn Minuten lang auf Fluren und Treppen auf und ab, ohne an ein Fenster nach draußen oder sonst eine Stelle zu kommen, die sie wiedererkannte.
    Schließlich öffnete sie eine schwere, holzgetäfelte Tür und hatte den nächsten unbekannten Raum vor sich, ein Zimmer mit staubigen Sofas und Borden voller Fotografien. Zum Teppich mit seinen schwarzen und grauen Feldern und seinen grünen Rosen passte die farblich umgekehrte Tapete, deren Hintergrund hellgrün und deren verschlungene Rosen schwarz waren. Lucinda wollte wieder

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