Die Drachen Der Tinkerfarm
hinausgehen, zögerte jedoch. Die Bilder hatten ihre Aufmerksamkeit erregt. Sie ließ die Tür hinter sich zufallen und trat weiter in den Raum hinein. Unmengen von Fotos standen dort, und alle schienen sie dieselbe dunkelhaarige Frau zu zeigen.
Lucinda setzte sich auf eines der Sofas, um die Bilder auf dem Couchtisch zu betrachten, sprang aber gleich wieder auf, weil die Polster dick mit Spinnweben und Staub bedeckt waren. Sie klopfte sich mit leisen Tönen des Abscheus ab und entschied, dass sie sich die Bilder genauso gut im Stehen anschauen konnte.
Auf manchen Fotos war die Frau mit anderen zusammen – eines sah nach einem Picknick am See aus, bei dem sie mit mehreren altmodisch gekleideten Personen lächelnd auf einer Decke saß –, doch auf den meisten war sie allein, lächelte oder lachte oder blickte manchmal auch nur mit ruhiger Aufmerksamkeit in die Kamera. Einige waren schwarzweiß, andere inFarbe, wobei keines der Farbfotos richtig realistisch war. Die Frau sah sehr gut aus mit ihrer langbeinigen Figur und diesen langen, dunkelbraunen Locken, die Lucinda sonst nur von Frauen auf alten Gemälden kannte.
Sie ließ ihren Blick über den restlichen Raum schweifen. Er fühlte sich an, als ob ihn seit Jahren niemand mehr betreten hätte – richtig ein bisschen unheimlich –, aber merkwürdigerweise fürchtete sie sich kein bisschen, ja, ihr war fast, als träumte sie. In einer Ecke stand eine Schneiderpuppe im Schatten wie eine kopflose Vogelscheuche. Lucinda ging hin und legte der Puppe die Hände auf die Taille. Sie war schlank, aber Hüften und Brüste waren voll. Mutters Freundin Mrs. Peirho schneiderte hin und wieder, und sie hatte ebenfalls eine Schneiderpuppe. Sie hatte Lucinda erzählt, diese Puppen könnten der eigenen Größe genau angepasst werden. Hatte diese hier der Frau auf den Bildern gehört? Wer sie auch war, dachte Lucinda, sie musste sehr klein gewesen sein …
»War sie nicht entzückend?«, sagte eine Stimme. »Sie hieß Grace.«
Lucinda stieß einen kleinen Schrei aus und fuhr herum. Patience Needle stand unmittelbar hinter ihr, als ob sie plötzlich aus dem Boden gewachsen wäre. Lucinda taumelte und streckte die Hand aus, um sich auf der Tischplatte abzustützen. Eines der gerahmten Bilder geriet ins Wackeln und fiel herunter. Lucinda wollte es noch auffangen, aber es stürzte zu Boden, und das Glas zerbrach mit einem Klirren, das fast so laut wie ihr Aufschrei war. Als Lucinda es aufhob, eine Mischung aus Scham und Ärger in der Brust, schnitt sie sich an einer scharfen Kante in die Finger.
»Entschuldige, wenn ich dich erschreckt habe, Liebes«, sagte Mrs. Needle und hielt der vor ihr zurückweichenden Lucinda die Hand hin. »Und es tut mir leid, dass ihr Kinder hier einenso merkwürdigen Empfang bekommen habt. Du hast dich verlaufen, nicht wahr? Oh, sieh nur, du hast dich an der Hand verletzt. Du musst dir helfen lassen, wirklich.«
Lucindas Finger fingen jetzt an, richtig wehzutun. Das Blut lief in ihrer offenen Hand zusammen, und von dem Anblick wurde ihr schlecht.
»Du Ärmste!«, rief Mrs. Needle. »Das ist ja ein böser Schnitt, den du da hast. Kümmere dich nicht um die Scherben, die fege ich später auf.« Sie zog ein sauberes weißes Taschentuch aus ihrer Rocktasche und band es um Lucindas verletzte Finger. »Du musst dich verarzten lassen – ich bestehe darauf.«
So dicht vor Mrs. Needle stehend roch Lucinda den schwachen, aber süßen und betörenden Duft von Lilien. »Wer ist die Frau auf diesen vielen Bildern?«
»Sie hieß Grace Tinker – nach ihrer Eheschließung dann Grace Goldring. Sie war Gideons Frau. Er hat sie vor vielen Jahren verloren, aber er hat sie sehr, sehr geliebt. Du solltest sie ihm gegenüber nicht erwähnen, denke ich.« Mrs. Needle legte Lucinda eine Hand auf die Schulter. »Wie es hier aussieht! Ich schäme mich richtig, wenn ich mir überlege, wie lange wir hier nicht mehr Staub gewischt haben. Was musst du nur von uns denken! Jetzt komm und lass dich versorgen.«
Von Erleichterung durchströmt, weil sie nicht mehr allein hier herumirren musste, ließ Lucinda sich gern aus dem altertümlichen Raum und ein paar Stufen hinunter führen und dann sanft hierhin und dorthin lotsen, als ob sie ein auf dem Fluss treibendes Boot wäre. »Hier«, sagte Mrs. Needle schließlich und schob Lucinda sacht in ein Zimmer, das sich sehr von den anderen unterschied, die sie in diesem merkwürdigen Haus bisher gesehen hatte.
Es war sehr groß,
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