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Die Drachen Der Tinkerfarm

Die Drachen Der Tinkerfarm

Titel: Die Drachen Der Tinkerfarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Beale , Tad Williams
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doch das war auf der Tinkerfarm, die meist Ordinary Farm genannt wurde, nicht ungewöhnlich.Eine Wand wurde komplett von einem riesigen Schubladenschrank mit bestimmt mehreren hundert kleinen Fächern eingenommen, jedes vielleicht eine Handbreit, die in Reihen bis zur Decke hinauf reichten wie Waben eines Bienenstocks. An einer Seite stand eine Rollleiter, und an einer anderen Wand erstreckte sich ein langer Arbeitstisch, auf dem sich Bücher stapelten, doch es standen auch ein Mikroskop und ein Computer darauf, wobei letzterer in dem ansonsten altmodischen Zimmer einigermaßen deplaziert wirkte.
    Am hinteren Ende des Raums standen mehrere Türen offen, und während Lucinda zu einem der Sessel geführt wurde, fiel ihr Blick auf zwei Schlafzimmer und ein Bad. Mrs. Needle veranlasste sie, sich zu setzen, und verschwand in ein weiteres Nebenzimmer. »Ich mache uns einen Tee!«, rief sie.
    Noch immer leicht benommen sah sich Lucinda im Zimmer um und hörte unterdessen einen Wasserkessel ächzen, dann säuseln, dann pfeifen. Gegenüber dem Arbeitstisch blickte man aus hohen Fenstern, doch obwohl der Abendhimmel noch hell war, gab es draußen nicht viel mehr zu sehen als eine der knallbunten Außenwände des Hauses. Unter den Fenstern standen jede Menge Topfpflanzen, die im Raum einen Geruch verbreiteten nach lebendigem Grün und feuchter Erde und etwas anderem, das weniger angenehm war – etwas wie Fleisch oder Blut.
    Mrs. Needle kam mit einer dampfenden Tasse in der einen Hand und einer kleinen Flasche in der anderen zurück. Sie stellte die Tasse ab und wickelte dann das Taschentuch von Lucindas Fingern.
    Etwas Kaltes spritzte auf ihre Schnitte und brannte, als ob Mrs. Needle sie mit Säure besprengt hätte. Lucinda zog scharf die Luft ein, doch der Schmerz verging sofort, auch wenn sienoch nachzitterte. Im nächsten Moment hatte sich eine köstliche Kühle über die Hand gelegt, und das Pochen darin war wie weggeblasen.
    »Oh! Was war das …?«
    »Jetzt trink das«, befahl Mrs. Needle und reichte ihr die Tasse Tee.
    Lucinda blickte auf die sahnige braune Flüssigkeit in dem Porzellanbecher. Der Geruch des Tees – würzig, nach schwarzen Blättern – strömte in sie ein. Sie führte ihn an die Lippen. Sie hatte gar nicht gewusst, dass Tee so intensiv schmecken konnte, so berauschend und herrlich.
    »Siehst du«, sagte Mrs. Needle und nahm ihr den Becher ab. »Gleich wird es dir viel besser gehen.«
    Das Zimmer flirrte wie eine Luftspiegelung. Ihr klopfte das Herz, spürte Lucinda auf einmal. In der Nähe stand eine von weißen Lilien überbordende Vase, und eine leichte Brise vom Fenster trug ihren Duft zu Lucinda. Sie ertrank darin. Ihre Kehle wurde eng, und sie sah, wie ihre Hand krallenartig am Kragen ihres T-Shirts zog. Mrs. Needle war sehr hübsch, aber sie schien weit weg zu sein, wie eine Kaiserin auf einem hohen Thron. Eine Lilienkaiserin …
    »Schon gut, Liebes, schon gut«, sagte Mrs. Needle und tätschelte ihre Hand.
    Lucinda blinzelte. Sie hatte doch gar nichts gesagt, oder?
    »Geht es dir besser, Lucinda? Was machen die Schnitte?«
    »Viel besser, danke.«
    »Gut.« Mrs. Needle hielt ihr das blutbefleckte Taschentuch hin, das sie von Lucindas verletzten Fingern abgenommen hatte. »Siehst du das?«, fragte sie. »In dieser modernen Zeit der Maschinen und der unsichtbaren Elektrizität reden die Leute so viel von ihren neuen Ideen, aber in Wirklichkeit ist gar nichts neu.«
    Lucinda gaffte sie an. Wie schön Mrs. Needles Mund war, wenn er die Worte formte – und wie schön die Worte in dieser perfekten englischen Aussprache.
    »Nimm zum Beispiel Blut«, fuhr Mrs. Needle fort. »Lange bevor die Rede war von … Genen oder der DNA, wussten die Menschen, dass Blut und Haare und Speichel die magischen Essenzen der Dinge enthalten.« Sie nickte bedächtig, blickte dann Lucinda an und lächelte. »Möchtest du gern einen kleinen Zaubertrick sehen?«
    Lucinda konnte nur nicken. Ihr fiel auf, dass Mrs. Needle irgendwann ihre schwarzen Haare gelöst hatte. Sie waren viel länger, als Lucinda gedacht hatte, hingen weit über den Rücken. Die Geste hatte etwas Ungezwungenes, Heimisches. Und im Moment fühlte sie sich ausgesprochen heimisch.
    »Dann schau.« Mrs. Needle legte das blutige Taschentuch so zusammen, dass nur noch der weiße Stoff zu sehen war, dann schloss sie die Finger vollständig darum und ballte eine Faust. »Schau genau hin!« Sie machte die Hand auf, und das zusammengeknüllte Taschentuch

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