Die Drachen Der Tinkerfarm
kräftigeren Eindruck als am Abend davor. Vielleicht wirkte ja Mrs. Needles Medizin. »In den meisten Mythen steckt ein Körnchen Wahrheit, Kinder. Ah, seht mal!« Er deutete auf eine Ecke des Käfigs, wo eine bemerkenswert hässliche Kreatur von der Größe eines Truthahns auf einen Holzstapel gestiegen war und sie beäugte. Vom Hals bis zum langen, besudelten Schwanz war sie mit Schuppen bedeckt, zwischen denen kümmerliche Federn wuchsen, nur der Kopf war kahl. Zuerst dachte Lucinda, es wäre eine Art Geier, doch Gesicht und Schnabel passten nicht recht dazu. Da sah sie, dass der Schnabel in Wirklichkeit eine Schnauze voll nadelscharfer kleiner Zähne war. Das Tier hob einen großen, knochigen Krallenfuß und knabberte kurz daran, dann stellte es ihn ab, legte den Kopf schief und starrte sie abermals mit seinen gelben, unbewegten Augen an.
»Es ist scheußlich!«, sagte Lucinda.
»Ich würde vermuten, dass es dasselbe von dir denkt«, erwiderte Gideon unwirsch. »Aber kein Tier ist scheußlich, mein Kind. Kein einziges. Sie sind alle so, wie die Natur sie geschaffen hat.«
»Warum hat es Federn?«, fragte Tyler. »Es sieht nicht wie ein Vogel aus.«
»Das ist es auch nicht. Es ist eher mit einem späten Dinosaurier verwandt, dem gefiederten Archäopteryx. Aber etwas an ihm ist in der Tat ziemlich scheußlich. Ragnar?«
Ragnar guckte, als wäre er nicht einverstanden, ging dann aber doch an die Stelle des Käfigs, wo er dem Basilisken am nächsten war, und schlug mit der flachen Hand kurz und kräftig auf den Draht. Als der haarlose Kopf zu ihm herumfuhr, war er schon zurückgesprungen. Der Basilisk bog blitzschnell den Hals zurück und stieß dann mit dem Kopf vor, wie um etwas auszuhusten, das ihm in der Kehle steckengeblieben war. Ein Schwall klarer Flüssigkeit platschte dort auf den Draht, wo Ragnars Hand hingeschlagen hatte.
»Gift«, sagte Gideon heiter. »Und kein schwaches. Ist das nicht faszinierend? Auf der Haut verursacht es nur eine leichte Rötung, aber wenn man es in die Augen bekommt, ist man blind – daher die Schutzbrillen. Und wenn man es schluckt, wird man sehr krank, oder man stirbt sogar, weshalb wir die OP-Masken tragen. Jetzt kommt mit, dann zeige ich euch, wie sie in einem früheren Stadium aussehen.« Der hagere alte Mann schritt so flott aus, dass sein Bademantel hinter ihm herwehte wie der Mantel eines abgehalfterten Königs. Er wirkte heute anders, zufriedener, ruhiger, beinahe normal. Lucinda machte einen großen Bogen um die Stelle, wo das Gift an den Zaun gespritzt war.
In einer kleinen Nische zwischen zwei Käfigen blieb die Gruppe stehen. Rechteckige Metallschalen standen nebeneinander, vielleicht ein Dutzend insgesamt, jede mit eigener Beleuchtung – als ob es hier drin noch wärmer werden müsste! Die Schalen waren mit Stroh ausgelegt, und in jeder lagen ein bis fünf Eier. Lucinda sah, dass es keine Hühnereier waren. Sie waren zu rund und hingen leicht durch, als ob jemand Tischtennisbälle in den Backofen getan hätte.
»Die Basilisken neigen in der Gefangenschaft dazu, ihre eigenen Eier zu fressen, haben wir festgestellt«, sagte Gideon. »Und die Jungen sind sehr empfindlich, solange sie klein sind, deshalb lassen wir sie in den ersten paar Monaten nicht in den Hauptkäfig.« Er wies auf eine Reihe von Glaskästen an der Rückwand des Stalls, hinter den Schalen mit den Eiern. »Kommt mit und schaut.«
Mit Sand und Steinhaufen am Boden waren die Kästen kleine Versionen des Drahtkäfigs. Die Tiere darin schienen nicht so erpicht darauf zu sein, sich zu verstecken, wie die im größeren Käfig. Ein halbes Dutzend, jedes so groß wie ein Hamster, drängte sich an die Scheibe, und wenn ihre langen, haarlosen Schwänze sich ringelten, erinnerten sie an ineinander verschlungene Schlangen, obwohl ihre unförmigen kleinen Körper mit feinen hellen Daunen bedeckt waren. Die Tierchen hatten auch Krallen an ihren knochigen Vorderfüßen, aber Hinterbeine konnte Lucinda nicht erkennen. Ihr schauderte, als die stumpfen kleinen Schnauzen an die Scheibe stießen.
»Wenn sie so jung sind, benutzen sie ihr Gift noch nicht, um Beute zu töten, sondern hauptsächlich zur Selbstverteidigung«, erklärte Gideon. »Und klein, wie sie sind, spucken sie keine richtige Flüssigkeit aus, sondern eher einen Nebel – unter Umständen bekommt man gar nicht mit, dass man ihn eingeatmet hat, bis die Lähmung einsetzt. Daher auch, vermute ich, die Vorstellung, ein Basilisk könne jemanden
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