Die Drachenflotte (German Edition)
Miles. Die Tiere waren berüchtigt für ihre Unberechenbarkeit und bekannt dafür, dass sie gern aus reiner Neugier zubissen. Aber sie konnten nur ausharren. Haie griffen mit Vorliebe von unten an, jetzt den Tauchgang zu beenden und nach oben zu steigen, wäre weit gefährlicher gewesen, als in Position zu bleiben. Knox wandte sich wieder dem Meeresboden zu. Die zwei chinesischen Kanonen, von denen sie schon vor ihrer Ankunft gewusst hatten, waren bereits geborgen. Sie hatten außerdem eine Anzahl Münzen aus der frühen Ming-Zeit und Porzellanscherben aus dem 15. Jahrhundert gefunden sowie Teile täglicher Gebrauchsgegenstände, Eisengeräte und Nägel, die schwerer zuzuordnen waren, aber vermutlich alle von demselben Wrack stammten. Doch was war das für ein Wrack? Alles, was sie datieren konnten, deutete auf die chinesische Kultur des frühen 15. Jahrhunderts hin, und das machte es äußerst wahrscheinlich, dass das Schiff einst zu Zheng Hes weithin berühmter Flotte von Schatzschiffen gehört hatte, die etwa um jene Zeit diese Gewässer im Westen Madagaskars befahren hatte. Allerdings hatte die gewaltige Armada damals aus vielen verschiedenen Arten von Schiffen bestanden, größtenteils Dschunken und Versorgungsschiffen. Alles natürlich großartige Funde und historisch bedeutend, aber nicht das, wonach sie suchten.
Die nächste Strömung packte ihn und stieß ihn dem Tigerhai entgegen. Instinktiv suchte er Halt auf dem Meeresgrund, und seine Finger wirbelten den Sand auf, bevor sie etwas Stabiles zu fassen bekamen. Er hielt sich daran fest, bis die Strömung nachgelassen hatte, dann sah er genauer nach. Es war ein gebogenes Stück Metall, rötlich braun und schorfig, das zu ebenmäßig gerundet aus dem Meeresboden hervorragte, um natürlichen Ursprungs zu sein. Als er den Sand wegfegte, zeigte sich der obere Teil eines verrosteten Eisenrings von vielleicht dreißig Zentimetern Durchmesser. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass Miles filmte, winkte er Klaus und bedeutete ihm, eine Absaugpumpe zu bringen. Das dicke graue Rohr, eine Art Unterwasserstaubsauger, sog im Nu Sand und Sedimente auf, bis schließlich ein eiserner Ring am Ende einer langen Metallstange freigelegt war, dem kreisrunden Öhr einer riesigen Nähnadel ähnlich.
Das zweite Team traf mit einer zusätzlichen Pumpe ein, die parallel zu der anderen zu arbeiten begann. Die dicke Eisenstange wurde immer länger. Sie konnte nur zu einem Anker gehören. Knox’ Spannung wuchs. Wie man von der Schrittlänge eines Menschen ziemlich sicher auf seine Körpergröße schließen konnte, ließ sich die Größe eines Schiffes an gewissen Zubehörteilen abschätzen. Die chinesischen Schatzschiffe waren angeblich mit zweieinhalb Meter langen Ankern ausgerüstet gewesen, deren eiserne Ankerflunken sich an Felsen festhakten oder in den Sand gruben und so das Schiff in Position hielten. Knox musste sich zwingen, ruhig zu atmen, während sie fast zwei Meter eines Ankerschafts freilegten. Dann zweieinhalb Meter. Drei Meter, und noch kein Ende. Dreieinhalb. Endlich stießen sie auf die erste Flunke. Knox schaute sich nach Miles um, der unbeirrt weiterfilmte, wie es sich für einen Profi gehörte, aber triumphierend eine Faust in die Höhe stieß. Der Jubel der anderen ließ sich an den Verzerrungen der Gesichter hinter den Taucherbrillen ablesen. Denn jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Sie hatten gefunden, was sie suchten.
Ein chinesisches Schatzschiff.
II
Landsitz Nergadse,
georgische Schwarzmeerküste
Boris Dekanosidse war erschüttert, als er Ilja Nergadse erblickte. Der mächtige Mann, den er vor zwei Jahren zuletzt gesehen hatte, war nur noch ein Schatten seiner selbst. Körperlich geschrumpft, bleich, der Kopf völlig kahl, lag er trotz der erstickenden Hitze im Zimmer unter dicken Decken in seinem Krankenbett. Mund und Nase bedeckte eine durchsichtige Atemmaske, Arme und Hals waren mit Schläuchen und Sonden gespickt, die an eine Reihe von Monitoren und andere technische Geräte oberhalb seines Betts angeschlossen waren, und auf einem Hochstuhl hinter seinem Haupt thronte, einem Schiedsrichter bei einem Tennismatch ähnlich, in gestärkter weißer Tracht ein irritierend androgyner Pfleger, der über ihn wachte.
Die Gerüchte trafen also zu: Der alte Ilja lag im Sterben.
Das vollautomatische Bett erlaubte Ilja, sich beinahe in eine sitzende Position aufzurichten, als Boris auf ihn zuging. Mit schwacher, zitternder Hand riss er sich die Atemmaske
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