Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
gewirkt, ließ aber gleichzeitig auch, wenn sie allein war, jene unterschwellige Wehmut in ihr aufkommen und jenes wunderliche Gemurmel, das in ihrem Innern nach Gehör verlangte. Auch an jenem Morgen, während sie so in der Stille dahinwanderte, nur begleitet vom Rascheln ihrer Schritte auf dem trockenen Laub, war ihr, als redeten wieder diese schwachen Stimmen aus der Ferne zu ihr. Doch dieses Gefühl war ihr schon lange vertraut. Und sie sorgte sich nicht mehr darum: Sie hatte gelernt, dieses Raunen wie einen alten Freund zu lieben.
Nachdem sie ein paar Stunden stramm marschiert war, kam der bedrohlich finster wirkende Wald in Sicht, und schon zwischen den ersten Bäumen erblickte sie ein bescheidenes Häuschen. Es war aus Holzbrettern gefertigt und wirklich klein. Nihal war enttäuscht: Bei einer so bedeutenden Zauberin hatte sie doch etwas Besseres erwartet.
Ein wenig verschüchtert trat sie auf die Tür zu und blieb eine Weile unentschlossen davor stehen. Von innen drangen keinerlei Geräusche zu ihr: Vielleicht war niemand zuhause, hoffte sie, wie sie sich eingestehen musste. Dann zuckte sie mit den Achseln, um ihre Zögerlichkeit zu verscheuchen, und klopfte an.
»Wer da?«, fragte eine Stimme von innen.
»Ich bin Nihal ...«
Stille, dann bewegten sich drinnen Schritte, und schließlich öffnete sich knarrend die Tür. Vor Nihal stand eine Frau von wirklich außerordentlicher Schönheit: eine groß gewachsene, sehr weibliche Gestalt mit dunklem Haar um ein Gesicht, dessen sanfte Blässe ihm etwas Erhabenes gab, Augen so schwarz wie Kohle und vollen, rosaroten Lippen. Gekleidet war sie mit einem langen Gewand aus rotem Samt.
Das sollte ihre Tante sein? Livons Schwester?
Die Frau musterte sie mit einem geheimnisvollen Lächeln. »Du bist groß geworden. Tritt ein.«
Im Haus wirkte alles sehr ordentlich.
Die Eingangstür öffnete sich auf eine Art Wohnstube, von der zwei kleinere Schlafzimmer abgingen. Ob es da auch einen Onkel gab ...? Der zentrale Raum war praktisch ganz mit Regalen verkleidet: An einer Wand sah man ausschließlich Bücher, auf der gegenüberliegenden Seite sowohl voluminöse Bände als auch verschiedenste Gefäße, die wohl Kräuter und seltsame Mixturen enthielten. Dazu kam noch ein kleiner Kamin und in der Mitte des Raumes ein Tisch, auf dem ebenfalls Bücher lagen. Nihal fühlte sich eingeschüchtert, sowohl durch den Anblick ihrer Tante als auch durch dieses Häuschen, das so anders als ihre vertraute Werkstatt war.
»Setz dich.«
Nihal gehorchte, und auch Soana nahm Platz. »Ich nehme an, Livon hat dich geschickt.« Das Mädchen nickte. »Kannst du dich an mich erinnern?« Nihal wurde immer verwirrter. Dann hatten sie sich also schon einmal gesehen. »Nein.«
»Nun, als deine Mutter starb, bin ich deinem Vater ein wenig zur Hand gegangen. Aber ich verstehe schon, dass du dich nicht daran erinnerst. Du warst ja erst zwei, als ich euch verließ, und leider war es mir in diesen finsteren Zeiten nicht möglich, den Kontakt zu euch zu halten.«
Es folgten einige Minuten verlegenen Schweigens. Nihal wäre es lieber gewesen, mit einer vollkommen Fremden zu tun zu haben als mit einer Frau, die sie schon als Kleinkind gekannt hatte, und die zudem dermaßen schön war, dass sie sich selbst ganz unbehaglich fühlte. Plötzlich kam ihr der Grund, weswegen sie gekommen war, unendlich töricht vor.
»Nun sag, Nihal, was führt dich denn zu mir?«
Nihal nahm all ihren Mut zusammen. »Ich hatte gehofft, dass du mich zu dir in die Lehre nehmen kannst.«
»Verstehe.«
»Eigentlich möchte ich aber ein Krieger werden, später einmal«, stellte sie rasch klar. »Ich weiß. Livon erzählt mir viel von dir.«
Es war wirklich unheimlich: Nihal selbst hatte noch nicht einmal von der Existenz dieser Frau gewusst, während dieser aber anscheinend nichts ein Geheimnis war. »Ich denke, solche magischen Künste können sicher sehr nützlich sein. Für einen Krieger, meine ich.«
Soana nickte gleichmütig. »Und verrätst du mir auch, wie du zu dieser Überzeugung gelangt bist?«
Nihal hatte das Gefühl, dass mehr hinter der Frage steckte, beschloss aber, ganz offen zu antworten. So erzählte sie die ganze Geschichte, wobei sie jedoch die Wahrheit ein wenig schön färbte, um sie noch akzeptabler zu machen. Allerdings hatte sie den Eindruck, dass das, was sie da berichtete, für Soana keineswegs neu war. Und als sie geendet hatte, fragte die Zauberin nur lapidar: »Hältst du das nicht selbst
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