Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
mir nie vorstellen können.«
Nihal schwieg hartnäckig: Nein, kein einziges Wort würde über ihre Lippen kommen. »Schon gut, ich geb's ja zu. Ich habe eine Schwäche von dir ausgenutzt, und das war gemein von mir. Bist du nun zufrieden? Aber den Dolch brauchte ich eben: Für viele Zauber benötigt man eine extrem scharfe Klinge. Vielleicht kann ich dir mal einen zeigen.«
Nihal blieb stumm wie ein Fisch, doch davon ließ sich Sennar nicht entmutigen. Er schob die Decken zurück, setzte sich auf und schlug die Beine übereinander. »Eigentlich bin ich gar nicht müde. Aber wenn ich dir auf die Nerven gehe, unterbrich mich einfach.«
Und ohne Unterlass erzählte er weiter.
Er sprach darüber, wie sehr er das trübe Herbstwetter liebe, wie sehr er Soana bewundere, als Frau und als Zauberin, dass diese hin und wieder schon von ihr erzählt habe, und über vieles andere, mehr oder weniger Belanglose.
Nihal schwieg und gab sich Mühe, kein Interesse an diesem Geschnatter zu finden, aber es wollte ihr nicht gelingen. Zum einen, weil sie mehr über ihre Tante zu erfahren wünschte, zum anderen auch, weil es ihr Spaß machte, diesem Jungen zu lauschen, der sie mit seinem Redeschwall überschüttete.
Irgendwann schließlich rang sie sich dazu durch, Sennars Monolog zu unterbrechen. »Hör mal, warum erzählst du mir nicht endlich einmal, was ich dir eigentlich getan habe? Warum musstest du mich vor all meinen Freunden so entsetzlich demütigen?« Sennar wurde ernst. »Warum? Ganz einfach. Weil du Krieg spielst, ohne ihn zu kennen, Nihal.«
»Weißt du denn mehr über den Krieg?«
»O ja, ich bin praktisch auf einem Schlachtfeld geboren und aufgewachsen, im Krieg zwischen dem Land des Meeres und dem Großen Land. Und glaub mir, Krieg ist vollkommen anders, als du ihn dir vorstellst. Er hat nichts von einem Spiel und auch nichts Amüsantes.«
Nihal wusste nicht, was sie erwidern sollte.
»Doch egal, es ist wirklich spät geworden. Morgen hast du deine Prüfung abzulegen. Und dazu solltest du ausgeschlafen sein. Gute Nacht.« Der Junge mit den roten Haaren mummelte sich in seine Decken.
Eine Weile lag Nihal noch wach und lauschte seinen Atemzügen in der Dunkelheit.
4. Der Bannwald
Als Nihal erwachte, war der Himmel klar und die Sonne strahlte. Es war einer jener Herbsttage, an denen man den Eindruck gewinnen konnte, die Natur wolle dem nahenden Winter noch einmal ihre Kraft zeigen, wenn auch vergeblich, denn bald schon würde die Kälte ihr zusetzen und ihre Glut ersticken.
Sennar war nicht im Zimmer, und Nihal stieß einen Seufzer der Erleichterung aus: Die Worte des Jungen schmerzten sie immer noch.
Einige Minuten vertrödelte sie noch im Bett, dann stand sie auf und gesellte sich zu Soana in den Wohnraum.
In ein Buch vertieft, saß die Zauberin am Tisch vor einer Tontasse mit dampfendem Tee und einem Teller mit einer Scheibe dunklem Brot darauf.
»Guten Morgen, Nihal. Setz dich und frühstücke etwas.«
Der Tee war lecker und schmeckte nach Honig, und das Brot war noch warm. Nihals Laune besserte sich.
»Wenn du so weit bist, will ich dir jetzt etwas von der Prüfung erzählen«, erklärte Soana irgendwann, und Nihal konzentrierte sich auf ihre Worte.
»Um entscheiden zu können, ob es Sinn hat, dich auszubilden, muss ich über deine Anlagen Klarheit gewinnen. Magische Fähigkeiten sind zum Teil angeboren, und wenn du diese Voraussetzungen nicht mitbringst, kann ich dir auch nichts beibringen. Es ist nämlich so, Nihal, ein Zauberer ist jener, der es versteht, sich mit den Urkräften der Natur in Einklang zu bringen: Das verleiht ihm seine Macht und seine Fähigkeiten. Wer es schafft, dass die Lebensenergie, die die ganze Welt erfüllt, zu ihm spricht, hat als Belohnung an ihren Kräften Anteil. Die Fähigkeit, Zwiesprache zu halten mit der Natur, kann verfeinert und gelehrt werden, und das ist die Rolle des Lehrers, aber die Voraussetzung dazu muss angeboren sein. Die Prüfung dient nun dazu, herauszufinden, wie es um diese Fähigkeit bei dir bestellt ist.«
Soanas Worte hatten Nihals Interesse geweckt, und sie fragte nach: »Das heißt also, man kann nur zaubern, wenn die Geister der Natur es so wollen?«
»Ja, anfangs ist das so«, antwortete die Magierin, die sich über den neugierigen Glanz in Nihals Augen freute. »Die Formeln für die einfachsten Zauber sind im Grunde nichts anderes als Gebete zu den Naturgeistern. Zu dieser Sorte zählen die schwächsten Heil- und einige leichte Abwehrzauber.
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