Die Drachenlanze (Die Saga von den drei Königreichen) (German Edition)
zu werden, so wie ich.“
Ketill schaute seinen Vater an. „Ich bin froh, dass du alt und grau geworden bist.“ Stikle hatte einen Anflug eines Lächelns im Gesicht, wechsel te dann aber schnell das Thema, da er Gefühlsbekundungen für unehrenhaft hielt.
„Ich bin mal gespannt, was der Gläserne mit uns vorhat.“
„Das wird er euch gleich selb st mitteilen.“
Vater und Sohn blickten sich um. Hinter ihnen stand ein Birkebener, ein Leibwächter des Königs, so genannt, weil es hieß, dass die Beine dieser Kämpfer so unempfindlich gegen Schmerzen waren, als seien sie aus Birkenholz. Beide hatten den Mann nicht bemerkt.
„Kommt mit.“
Birkebener waren bekannt für ihre Kurzangebundenheit.
Der Mann führte sie zum hinteren Teil des Bootes ans Ruder, wo Gunnar zusammen mit dem Steuermann, einem kräftigen Drakinger mit langem Bart, stand und aufs Meer schaute. Erst jetzt, als er nach hinten lief, bemerkte Ketill steuerbord ein weiteres Segel. Dies musste eines der zwei Schiffe sein, die den König begleitet hatten, als sie abgelegt hatten. Ketill fragte sich, in welcher Mission Gunnar wohl unterwegs gewesen war, bevor er zu Hallders Halle gekommen war.
Gunnar wirkte im Dunkeln noch Ehrfurcht gebietender. Sein Gesicht war von schwarzen Schatten durchzogen und sein weißes Haar wehte nach hinten. Ohne Ketill oder seinen Vater anzuschauen, sagte er:
„Mein dritter Sohn hat einen Dämon im Leib. Ich habe nie verstanden, was ihn antreibt.“
Ketill wusste nicht, ob es angemessen wäre etwas zu sagen, doch er schwieg lieber.
„Er hat immer einen eigenen Kopf gehabt. Vielleicht liegt es daran, dass meine zweite Frau Agni ihn gemäß der Sitte der Grugaländer nach der Geburt in Eiswasser getaucht hat. Ich fand das einfach nur grausam. Aber sie hat darauf bestanden. Vielleicht liegt es auch daran, dass er immer alles b ekommen hat, was er wollte. Ich weiß es nicht.“
Erst jetzt schaute Gunnar Ketill an. Er wirkte müde und betrübt.
„Ich kann das Unglück, welches mein Sohn über dich und deine Familie gebracht hat, nicht wieder gut machen, Ketill Stikleson. Aber ich kann dich auch nicht gehen lassen. Nicht nach all dem was passiert ist. Ich werde dich mitnehmen nach Birkesund. Und dann werden wir sehen, wie die Dinge weiter verlaufen.“
Ketill hatte in diesem Moment gewusst, was Gunnar meinte. Wenn Gunnar Ketill laufen gelassen hätte, wäre es sehr wahrscheinlich, dass ein Krieg zwischen Drauhala und Ulhala ausgebrochen w äre. Dies wollte der König der Drakinger verhindern, indem er Ketill als Geisel mitnahm.
Ketill wusste nicht, ob er sich für seine Rettung bedanken oder Protest gegen seine angehende En tführung einlegen sollte. Da er irgendetwas sagen wollte und ihm nichts Besseres einfiel, sagte er:
„Warum habt Ihr uns nicht alle getötet?“
Nun blickte Gunnar Ketill direkt in die Augen.
„Warum sollte ich?“
„Ihr hättet das Reich der Norr einigen und unter Euch bringen können.“
Gunnar zuckte mit den Schultern. „Ich bin zufrieden mit dem was ich habe. Wenn morgen früh die Sonne aufgeht, wirst du sehen, dass sie für alle scheint, für die Drakinger, die Wolfinger, für die Ankil und die Rus. Ich bin alt und habe keine Ambitionen mehr. Ich hoffe“, damit blickte er Ketill erneut direkt in die Augen, „dass du auch keine Ambitionen mehr hast, Ketill Stikleson.“
„Ich nicht, aber Euer Sohn Thorgnyr. Er wird vielleicht dafür sorgen, dass mir in Birkesund etwas passiert.“
„Thorgnyr wird nicht in Birkesund sein.“
„Aber hattet Ihr ihm nicht befohlen, nach Birkesund zu fahren?“ Ketill erinnerte sich an die Worte des wütenden Vaters an seinen Sohn.
„Ja, das habe ich. Aber er wird mir nicht folgen. Das hat er nie getan. Er wird irgendwo an die Nordküste der Shimae gefahren sein, um zu plündern und sich abzureagieren. Ich werde ihn in diesem Jahr nicht mehr sehen.“
Ketill wunderte sich, dass der Vater sich mit dem Ungehorsam des Sohnes so leicht abzugeben schien. Jedoch hatte er ja auch selbst ein außergewöhnliches Verhältnis zu seinem Vater. Sie hatten sich jahrelang nicht gesehen und ihre noch frische Zuneigung schien auf wackligen Beinen zu stehen.
Die tiefe Stimme Gunnars unterbrach ihn in seinem Gedankengang.
„Wir werden morgen in der Hauptstadt der Drakinger ankommen. Dann werden wir weiterreden. Jetzt solltest du dich ausruhen, Stikleson. Aswin hier wird sich deine Wunden noch einmal anschauen.“ Der wortkarge Birkebener brummte seine
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