Die Drachenreiter von Pern 03 - Drachengesang
älteren Schwester Sella über den Kopf gewachsen war, zu ihrem Aufgabenbereich.
Das hieß, daß sie treppauf, treppab durch die Außen-und Innenkammern und die Gänge der weitläufigen Burg rennen mußte, aber sie hatte ein eigenes, zeitsparendes System entwickelt, das ihr die Arbeit erleichterte und sogar ein wenig Spielraum ließ, ehe Mavi wieder nach ihr zu suchen begann. Früher hatte sie diese kostbaren freien Minuten beim alten Harfner verbracht, um an seinen Instrumenten zu üben. So lenkte sie auch an diesem Tag ganz mechanisch ihre Schritte zu Petirons Wohnung.
Zu ihrer Verblüffung hörte sie im Innern Stimmen. Sie wollte eben wütend die angelehnte Tür aufstoßen, als sie den Tonfall ihrer Mutter erkannte.
»Der Raum sieht noch gut aus. Viel gibt es für den neuen Harfner nicht herzurichten.«
Menolly zog sich in den Schatten des Korridors zurück. Der neue Harfner?
»Ich möchte wissen, Mavi, wer die Kinder unterrichten soll, bis er kommt.«
Das war Soreel, die Frau des Ersten Pächters und deshalb Wortführerin der anderen Pächterfrauen, wenn es darum ging, etwas mit der Burgherrin zu besprechen.
»Sie hat ihre Sache heute gut gemacht. Das mußt du ihr lassen, Mavi.«
»Yanus wird die Botschaft mit dem Schiff abschicken.«
»Aber weder heute noch morgen. Das richtet sich nicht gegen den Burgherrn, Mavi; wir verstehen, daß der Fischfang vorgeht und er keinen Mann entbehren kann. Aber es bedeutet, daß vier oder fünf Tage vergehen werden, ehe der Bote Igen erreicht. Falls sich ein Drachenreiter von Igen herabläßt, die Nachricht weiterzubefördern … Aber wir alle kennen die sturen Alten von Igen. Also rechnen wir lieber weitere zwei, drei Tage hinzu, bis die Harfner-Trommeln von Igen nach Fort durchgedrungen sind. Dann muß Meister-Harfner Robinton einen geeigneten Mann auswählen und ihn zu uns schicken, erst auf dem Landweg, dann per Schiff. Und bei dem unberechenbaren Fädeneinfall kommt man in einem Tag nicht weit voran. Es wird sicher Frühling, ehe wir den neuen Harfner sehen. Sollen die Kinder etwa monatelang ohne Unterricht bleiben?«
Soreel hatte ihre Worte mit heftigem Bettenschütteln untermalt. Nun schwieg sie, und man hörte, daß der Raum des verstorbenen Harfners geputzt und gescheuert wurde. Zwei schüchterne Stimmen unterstützten Soreel.
»Petiron war ein guter Lehrmeister …«
»Das sieht man an ihr«, fiel Soreel der Burgherrin ins Wort.
»Der Harfner-Beruf ist Männersache …«
»Gut. Wenn der Baron einen Mann dafür freistellt…«
Soreels Stimme klang beinahe aufsässig, denn jeder kannte die Antwort darauf.
»Sei doch ehrlich! Das Mädchen hat die Balladen besser gesungen als der alte Mann. Du weißt, wie sich sein Geist im Laufe der letzten Planetendrehungen verwirrte.«
»Yanus wird schon das Rechte veranlassen«, sagte Mavi scharf und beendete damit die Debatte.
Menolly hörte Schritte, die sich der Tür näherten, und hetzte den Korridor zurück, wischte um die nächste Kurve und lief hinunter ins Küchengewölbe.
Es störte Menolly, daß künftig ein anderer, selbst wenn er ein Harfner war, in Petirons Zimmer wohnen sollte. Andere störten sich eher daran, daß noch kein Nachfolger für den alten Mann gefunden war.
Im allgemeinen stellte sich dieses Problem überhaupt nicht. Jede Burg konnte sich rühmen, einen oder zwei musikalische Männer zu besitzen, und jede Burg legte Wert darauf, daß diese Talente gefördert wurden.
Harfner ließen sich während der langen Winterabende am Kamin gern von anderen Spielern und Sängern begleiten. Und es war auch klug, Ersatz heranzuziehen – eben für den Notfall, wie er sich jetzt in der Halbkreis-Bucht zeigte.
Aber die Fischerei machte die Hände rauh und klobig: die schwere Arbeit, das kalte Wasser, das Salz und der Tran ließen Gelenke anschwellen und die Finger steif werden. Fischerleute waren oft tagelang auf Fangfahrten.
Nach einer Planetendrehung oder zwei an Netz, Reuse oder Segelleine verloren die jungen Männer ihr Talent und konnten nur noch die einfachsten Melodien spielen. Die Lehrgesänge der Harfner aber erforderten flinke, geschickte Finger und ständiges Üben.
Daß Yanus sofort nach der Bestattung des alten Harfners in See stach, war eine Art Flucht. Er versuchte Zeit zu gewinnen, bis er eine Lösung des Problems fand. Es bestand kein Zweifel daran, daß die Kleine gut singen und gut spielen konnte, und sie hatte an diesem Morgen weder der Burg noch dem Harfner Schande gemacht. Und
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