Die Drachenreiter von Pern 03 - Drachengesang
nachzusinnen. Er ließ ihm auch Zeit, jeden Mann aufzusuchen, der auch nur einigermaßen Rhythmus und Melodie beherrschte, aber sie gaben ihm alle die gleiche Antwort: Die Totenklage zu Ehren des alten Harfners konnten sie nicht singen; das schaffte einzig und allein Menolly.
Worauf Yanus jedesmal mit einem unwilligen Knurren davonstapfte. Es ärgerte ihn, daß er seiner Ohnmacht und seiner Unzufriedenheit mit dieser Antwort nicht richtig Ausdruck verleihen konnte.
Denn Menolly war nur ein Mädchen – und obendrein zu hochgeschossen und zu schlaksig für ein richtiges Mädchen. Die Einsicht, daß sie die einzige in der ganzen Halbkreis-Bucht war, die jedes Instrument ebensogut spielen konnte wie der alte Harfner, verbitterte ihn.
Ihre Stimme traf jeden Ton, ihre Finger griffen Saiten, Trommelstock und Pfeifenlöcher gleich sicher – und sie kannte die Totenklage. Wenn Yanus sich nicht täuschte, hatte dieses widerspenstige Gör den Gesang eingeübt, seit den alten Petiron das Fieber dahinraffte.
»Sie wird ihm die Ehren erweisen müssen, Yanus«, erklärte seine Frau Mavi an dem Abend, als der Sturm abflaute.
»Es geht schlicht und einfach darum, daß wir Petiron zur letzten Ruhe betten, wie es sich geziemt. Wer die Totenklage gesungen hat, braucht später keiner zu erfahren.«
»Der Alte wußte doch, daß es mit ihm zu Ende ging. Warum hat er nicht noch einen der Männer unterwiesen?«
Eine gewisse Schärfe lag in Mavis Antwort. »Weil du nie einen Mann frei hattest, solange die Boote auslaufen konnten!«
»Der junge Tranilty …«
»Den hast du nach Ista in Pflege geschickt.«
»Oder Forolts Jüngster …?«
»Er ist im Stimmbruch. Komm, Yanus, finde dich damit ab! Menolly wird singen.«
Yanus haderte immer noch gegen das Unvermeidliche, als er in seine Schlafpelze kroch.
»Haben dir das nicht schon alle anderen gesagt? Warum also versteifst du dich?«
Yanus schloß resigniert die Augen.
»Morgen macht ihr bestimmt einen reichen Fang«, fuhr Mavi mit einem Gähnen fort.
Sie sah es lieber, wenn er draußen auf dem Meer war, anstatt in der Burg herumzupoltern, mürrisch, und streitsüchtig durch die erzwungene Untätigkeit. Sie wußte, daß er der beste Baron war, den die Halbkreis-Bucht je gesehen hatte.
Die Burg gedieh, und in den Vorratshöhlen türmten sich die Tauschgüter; sie hatten seit mehreren Planetendrehungen weder Schiff noch Mann verloren – ein Beweis für seinen guten Wetterinstinkt. Aber Yanus, der sich nur auf einem sturmgepeitschten Deck wohlfühlte, war verloren, wenn es galt, an Land unerwartete Schwierigkeiten zu meistern.
Mavi spürte recht gut, daß Yanus mit seiner Jüngsten unzufrieden war. Sie selbst verzweifelte manchmal schier an dem Mädchen.
Gewiß, Menolly arbeitete hart, und sie besaß eine außergewöhnliche Fingerfertigkeit – aber die zeigte sie meist nur, wenn sie ein Instrument der Harfner-Gilde in die Hand nahm.
Vielleicht, dachte Mavi, war es unklug gewesen, Menolly in der Umgebung Petirons zu lassen, nachdem sie die alten Lehrballaden alle auswendig kannte. Aber die Kleine hatte ihr die Last abgenommen, den alten Mann zu versorgen, und außerdem hatte er selbst ihre Gesellschaft gewünscht.
Keiner mißachtete die Wünsche Petirons. Ach was, überlegte Mavi und zog einen Strich unter das Vergangene, sicher kam bald ein neuer Harfner, und dann konnte man Menolly Aufgaben zuweisen, die sich besser für ein junges Mädchen schickten.
***
Am Morgen darauf hatte sich der Sturm gelegt. Der Himmel war wolkenlos, die See ruhig. Man schmückte die Totenbarke in der Dockhöhle und legte Petirons Leichnam, in blaue Gildetücher gewickelt, auf das Kippbrett. Die gesamte Flotte der Meeres-Bucht folgte dem Ruderboot hinaus in die starke Strömung oberhalb der Nerat-Untiefen.
Menolly saß am Bug der Barke und sang die Elegie; ihre klare, kräftige Stimme scholl bis hin zu den großen Schiffen; die Männer an den Rudern summten die Begleitmelodie.
Mit den letzten Klängen ließ man Petiron ins Meer gleiten. Menolly senkte den Kopf. Dann warf sie die Trommel mitsamt dem Stock in die Fluten. Wie konnte sie je wieder das Instrument benutzen, das Petirons Totenklage begleitet hatte?
Sie hatte seit dem Dahinscheiden des Harfners ihre Tränen zurückgehalten, weil sie wußte, daß sie seine Elegie singen würde, und das konnte sie nur, wenn die Kehle nicht zugeschnürt war vom Schmerz. Nun aber ließ sie ihren Gefühlen freien Lauf, und die Tränen vermischten sich
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