Die Drachenreiter von Pern 05 - Der weiße Drache
Schließlich hob der Meisterschmied die muskelbepackten Arme und forderte mit seinem mächtigen Baß Ruhe. Das aufgeregte Durcheinander verstummte.
»So verschwenden wir nur Zeit und Energie!« Toric klatschte herablassend Beifall und lachte. »Die Sache ist alles andere als komisch«, setzte der Schmied ernst hinzu. »Ich schlage vor, wir kümmern uns erst einmal um Lessas Hügel, weil er der kleinste ist. Dann arbeiten wir bei Meister Nicat weiter und anschließend…«
»Alles an einem Tag?« fragte Toric mit spöttisch hochgezogenen Augenbrauen.
»Wir wollen sehen, was wir schaffen. Fangen wir an!«
Jaxom fiel auf, daß der Schmied Torics aggressives Verhalten überging, und er beschloß, das gleiche zu tun.
Es zeigte sich bald, daß an Lessas kleinem Hügel nicht mehr als zwei Drachen gleichzeitig graben konnten, da sie sich sonst gegenseitig im Weg standen. So baten F’lar und N’ton ihre Bronzedrachen, Meister Nicat zu helfen.
Am Nachmittag hatten sie die gewölbten Seiten von Lessas Bauwerk bis zum Talboden freigelegt. Sechs in die Mauern eingesetzte Paneele, drei davon in der Dachkuppel, stachelten die Neugier an, aber ihre Oberfläche, in alter Zeit sicher transparent, war nun stark zerkratzt und undurchsichtig. Zu ihrer Enttäuschung fanden sie keine Öffnung an den Längsseiten der Kuppel, und so machten sie sich daran, eine Stirnwand auszugraben. Die Drachen zeigten nicht die Spur von Ermüdung; im Gegenteil, die ungewohnte Arbeit schien sie anzuspornen. Und kurz darauf schaufelten sie tatsächlich den Eingang frei: eine Schiebetür auf dem gleichen Material wie die Dachpaneele.
Doch die verstopften Laufschienen mußten erst gereinigt und die Rollen geölt werden, ehe man die Tür einen Spalt öffnen konnte. Lessa wollte sich durchzwängen, aber der Schmied hielt sie zurück.
»Warten Sie! Die Luft da drinnen ist abgestanden und faulig. Zuerst müssen die schädlichen Gase entweichen. Dieses Bauwerk war ganze Äonen von der Außenwelt abgeschlossen.« Der Schmied, Toric und N’ton stemmten sich gegen die Tür und schoben sie schließlich ganz zur Seite. Die ausströmende Luft roch in der Tat faulig, und Lessa wich keuchend zurück. Vage Vierecke bräunlichen Lichts fielen auf einen staubigen Boden und erhellten gesprungene, fleckige Wände. Als Lessa und F’lar, gefolgt von den anderen, den Innenraum betraten, wirbelte der Staub unter ihren Füßen hoch.
»Wozu diente das Haus?« fragte Lessa mit unterdrückter Stimme.
Toric zog den Kopf ein, unnötigerweise, wie sich zeigte, denn auch er konnte aufrecht stehen. Er deutete auf die Überreste eines breiten Holzgestells, das sich in einer Ecke des Raumes befand.
»Darauf könnte jemand geschlafen haben.« Er inspizierte die andere Ecke. Plötzlich bückte er sich, hob etwas auf und überreichte es Lessa mit einer tiefen Verbeugung. »Ein Schatz aus der Vergangenheit!«
»Ein Löffel!« Lessa hielt den Fund hoch, damit ihn alle sehen konnten, dann fuhr sie mit den Fingern vorsichtig die Konturen entlang. »Aber woraus besteht er? Das hier ist kein Metall, das ich kenne. Und ganz bestimmt kein Holz. Es fühlt sich eher an wie – die Fensterscheiben und die Tür.« Sie versuchte den Löffel zu biegen. »Und obwohl er transparent ist, zerbricht er nicht.«
Der Schmied bat, den Löffel aus der Nähe betrachten zu dürfen. »Es scheint tatsächlich das gleiche Material zu sein. Löffel und Fenster – komisch, was?«
Nachdem die erste Scheu verflogen war, begannen alle das Innere des Bauwerks zu untersuchen. An der Wandfarbe sah man, wo einst Regale und Schränke gestanden hatten. Das Haus war früher in mehrere Räume unterteilt gewesen, und es gab Dellen im widerstandsfähigen Boden, die darauf hinwiesen, daß hier und da große, schwere Dinge gestanden hatten. In einer Ecke entdeckte Fandarel runde Abflußöffnungen. Als er die Außenmauern betrachtete, kam er zu dem Schluß, daß die Rohre durch die Wand in die Tiefe führten. Eines der Systeme war zweifellos eine Wasserleitung, aber die vier übrigen gaben ihm Rätsel auf.
»Ich kann nicht glauben, daß all diese Häuser leer sind!« Lessa kämpfte gegen die Enttäuschung an, die wohl jeder von ihnen fühlte.
»Man darf wohl vermuten«, sagte Fandarel energisch, als sie Lessas Ausgrabungsstätte verlassen hatten, »daß die meisten Hügel ähnlicher Größe und Form die Wohnhäuser unserer Vorfahren beherbergen. Sie nahmen bei der Flucht ihre persönliche Habe mit. Deshalb schlage ich
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