Die Drachenreiter von Pern 15 - Drachenklänge
mich eine Harfnerhure. Und was ist an Gesang auszusetzen? Wie kann Singen etwas Schlechtes sein, etwas Böses?«
»Bitte, beruhige dich.« Dalma schloss Merelan fest in die Arme und tätschelte abwechselnd Robie oder seine Mutter. Der Junge hatte sich von seinem Schrecken bereits wieder erholt, wobei die Sicherheit des Wohnwagens und Dalmas Anwesenheit sich besänftigend auf ihn auswirkten. »Hin und wieder treffen wir auf die wunderlichsten Leute. Einige haben noch nie einen Harfner zu Gesicht bekommen, andere wiederum missbilligen Singen, Tanzen und Trinken. Sev meint, es läge daran, dass sie selbst weder Wein noch Bier herstellen können und diese Getränke allein deshalb verteufeln. Sie wollen nicht, dass ihre Kinder etwas lernen, weil sie wohl befürchten, sie könnten mit ihrem Leben unzufrieden werden und diese vermaledeite Wildnis verlassen.« Dalma stieß ein trockenes Lachen aus.
»Aber die Art und Weise, wie er das Wort ›Harfner‹ aussprach …« Merelan schluckte, als sie sich an den vor Hass triefenden Tonfall erinnerte.
»Schon gut, jetzt ist ja alles vorbei. Sev und die anderen werden dafür sorgen, dass diese Hinterwäldler in ihre Behausungen zurückkehren.«
»Und dieses kleine Mädchen …«
»Denk nicht mehr an sie. Bitte.«
Merelan nickte fügsam, doch sie bezweifelte, ob sie je den sehnsüchtigen Hunger in den Augen des Kindes würde vergessen können. Das Mädchen gierte nach Musik oder danach, mit Gleichaltrigen spielen zu dürfen, vermutlich kam beides zusammen. Doch sie blieb in Dalmas Wagen, bis Sev kam, um ihr zu berichten, dass die Hinterwäldler gegangen seien. Außerdem drängte es den Karawanenführer, sich bei Merelan für den peinlichen Zwischenfall zu entschuldigen.
Auftritte dieser Art ereigneten sich nie wieder, obwohl Merelan erfuhr, dass nicht jede Burg, die der Treck ansteuerte, in den Genuss einer schulischen Ausbildung kam. Gewiss, es gab nicht genug Harfner, die dort längere Zeit verweilen und unterrichten konnten, und meistens einigte man sich auf ein bis zwei Aufenthalte pro Jahr. Doch zu Merelans Entsetzen gab es eine nicht geringe Anzahl von Pachthöfen und kleineren Felssiedlungen, in denen Menschen wohnten, die weder lesen noch schreiben und höchstens bis zwanzig zählen konnten.
Sie wagte es nicht, mit Petiron darüber zu diskutieren, doch sie nahm sich vor, Gennell nach ihrer Rückkehr auf diesen Missstand hinzuweisen. Obwohl er mit Sicherheit längst darüber im Bilde war.
Im Allgemeinen sorgte die Handelskarawane an den Orten, an denen sie kampierte, für Unterhaltung. In Petiron hatte sich ein grundlegender Wandel vollzogen; anfangs fand er sich damit ab, seinen Teil zu den musikalischen Abenden beizutragen, nun indessen genoss er die Auftritte in vollen Zügen. Er staunte über die vielen schönen Stimmen und die begabten Musiker, die sich überall fanden. Es waren nicht die Virtuosen, die er von daheim kannte, doch sie verfügten über beachtliche Talente und – was noch wichtiger war – eine unverdrossene Spielfreude und Begeisterungsfähigkeit, die jede Vorstellung zu einem hoch befriedigenden Erlebnis machten.
Außerdem hörte er Variationen von Balladen und Weisen, die in den abgelegenen Burgen und Siedlungen traditionsgemäß überliefert wurden, ihm jedoch fremd waren. Eifrig notierte er sich jede Variante. Einige waren recht kompliziert und er fragte sich, was das Original war – die Version der Harfnerhalle oder die Interpretation, die seit vielen Generationen in der Provinz kursierte.
Eine der nostalgischsten Balladen – sie handelte von der Großen Überfahrt – wollte er in ein Instrumentalstück umschreiben. Die Grundmelodie war ein richtiger Ohrwurm, und die einzelnen Motive ließen sich nach Lust und Laune ausschmücken.
Petiron machte sich unverzüglich ans Transkribieren, wobei er das örtlich hergestellte Schreibmaterial aus Schilfgras benutzte. Es sog die Tinte so stark auf, dass die Notenschrift verschwommen wirkte, doch Nachbessern konnte er nach seiner Rückkehr in die Harfnerhalle. Auf sein perfektes musikalisches Gedächtnis war er schon immer stolz gewesen.
***
Am Vormittag des einundzwanzigsten Reisetages erreichten sie Burg Pierie, obwohl sie eine Rast von zwei vollen Tage in Merelans Heimatfestung eingelegt hatten. Sie erhielt die Gelegenheit, ihre Familie wiederzusehen, Neuigkeiten auszutauschen, die während der letzten Jahre geborenen Babys zu bewundern, frisch getrauten Ehepaaren zu gratulieren – und
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