Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
größeren Höhle klein zu nennen war, war er wie gebannt von der Schönheit der Muster auf den Wänden und der Decke. Die venenähnlichen Linien sahen aus wie Flüsse auf der Erde, die man von hoch oben betrachtete. Es gab schmalere dunkle Vertiefungen, die wie große Gewässer in tiefem Blau schimmerten, tiefe Gletscherspalten und Gebirgszüge, durchzogen von grünen und quarzschimmernden Flecken, die an Weiden erinnerten. Joshua hatte das seltsame Gefühl, eher auf eine sehr detaillierte Landschaft hinunterzublicken, als zu einer Steindecke hinauf. Kurz erfasste ihn ein Schwindel, bis er sich an das auf den Kopf gestellte Bild gewöhnt hatte. Noch nie hatte er etwas Vergleichbares gesehen und in keiner Vorstellung und keinem Traum hatte er jemals solche Schönheit erlebt.
Und dann folgte er mit den Augen dem türkisfarbenen Schimmer von etwas, das aussah wie ein großer Fluss, bis hinunter zu der Stelle, an der die Decke den Boden erreichte. Dort stand ein zylinderförmiger Stein, ganz schwarz und glatt wie polierter Quarz. Auf seiner Oberfläche lagen drei Federn.
Als Joshua sie genauer in Augenschein nahm, schienen sich ihre Farben zu verändern. Zuerst reflektierten sie das Rot, Orange und Blau seines eigenen Gefieders, dann aber nahmen sie jede Farbe des Regenbogens an, von tiefstem Grün über Gelb zu Blau. Er konnte seinen Blick nicht von ihnen abwenden. Er war davon überzeugt, dass sie die kostbarsten Dinge waren, die im gesamten Universum existierten, und in diesem Moment, in diesem Traum, erlebte er zum ersten Mal das Gefühl, vollkommen geliebt zu werden. Das Gefühl überwältigte ihn und er wachte auf.
Der Stall lag immer noch in völliger Dunkelheit. Als er die Hennen auf ihren Stangen um ihn herum betrachtete, strömte das intensive Gefühl von Liebe, das er in seinem Traum gespürt hatte, aus ihm heraus und in den Stall hinein, und einen Moment lang empfand Joshua für all die Hennen dieselbe allumfassende Liebe. Er liebte sogar die Stangen, die Wände des Stalls, den heubedeckten Boden, das Fenster und die Nacht dahinter. Es gab nichts, was er nicht in seine Liebe einschloss. Noch einen kurzen Moment lang war er so ergriffen, das Gefühl verweilte einen Augenblick und löste sich dann auf wie eine Sternschnuppe, die in den Nachthimmel verschwindet. Es ließ ihn leer und kalt zurück und er fühlte sich einsamer als je zuvor. Die warmen Körper der Hennen im Stall konnten ihm keine Wärme, keinen Beistand bieten oder ihm helfen, die Wunde in seiner Seele zu schließen. Er war allein.
Kapitel 2 – Tod
Die nächsten Tage und Wochen waren nichts als grau – graue Tage folgten auf dunkle Nächte und ein kühler Wind wehte unablässig vom Meer herüber. Der übrig gebliebene Schnee war braun und vereist. Das Futter schmeckte nach nichts. Und während die Hennen und Küken damit beschäftigt waren, die Grasflecken und die Erde nach Würmern zu durchsuchen, bedachte Joshua sie nur mit ungeduldigen Blicken und störte sie in ihrem friedlichen Tun, so oft er konnte. Er war neidisch auf ihr zufriedenes Leben. Für sie war nichts wichtig, außer Nahrung und Wasser zu finden, in der Erde zu scharren und Eier zu legen. Er fand darin keine Befriedigung mehr. Tagsüber beherrschte ihn eine überwältigende Rastlosigkeit, nachts fand er keinen Schlaf. So sehr er sich auch wünschte, in den Traum zurückkehren zu können, er fand keinen Weg dorthin. Der Traum entzog sich ihm immer wieder, obwohl er sogar in seinen Tagträumen versuchte, die Bilder zurückzuholen – die Bilder der drei Federn auf dem schwarzen Steinzylinder.
Der Stall erschien ihm immer mehr als Gefängnis denn als sicherer Hafen und Zuhause. Er fand sich am Zaun wieder, durch dessen Maschen er sehnsüchtig in die Welt jenseits des Stalles hinausstarrte. „Ich muss sie finden“, dachte er. „Ich muss sie einfach finden.“
Joshua konnte spüren, wie die Hühner unruhig wurden, als er auf die höchste Stange im Pferch hinaufflatterte. Einen Moment lang dachte er, er sollte einfach bei ihnen bleiben, sie beschützen, ihre Streitigkeiten schlichten und vor ihnen herumstolzieren, wie er es immer getan hatte. Aber etwas in ihm wusste, dass er dazu nicht mehr in der Lage war. Und als dieses Etwas, diese Kraft in ihm, anschwoll, wuchs und schlichtweg unerträglich wurde, breitete er seine Flügel aus und sprang.
Er brauchte mehrere Flügelschläge, um ausreichend an Höhe zu gewinnen. Im letzten Moment schien es fast, als
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