Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
des Grauens. Federn übersäten den Boden des Pferchs. Zwei Hennen und ein jüngeres Küken lagen tot dazwischen. Joshua versuchte verzweifelt hineinzukommen, doch es nützte nichts. Es gab keinen Absprungpunkt, der hoch genug lag, um hineinfliegen zu können. Er umkreiste den Pferch und versuchte zu erkennen, wer übrig geblieben war. Unter dem Stall schien ein Tumult zu entstehen, doch er konnte nichts erkennen. „Ich hätte bleiben sollen“, dachte er. „Ich hätte auf sie aufpassen sollen.“ Diese Gedanken waren zunächst noch mit keinerlei Gefühlen verbunden. Er stellte nur sehr vernünftig fest, welchen Beitrag er zum Tod seiner Hennen geleistet hatte. Er fühlte sich wie abgespalten von sich selbst, als ob er die Szene als Außenstehender betrachten würde.
„Du hast uns verlassen.“ Eine Henne spähte unter dem Stall hervor und sah ihn an. „Du hättest uns beschützen müssen und du bist gegangen. Dies ist deine Schuld.“
„Es tut mir leid“, antwortete Joshua. „Es tut mir so leid. Ich wollte nicht... ich wusste nicht...“
Eine zweite Henne sah ihn an. „Was tust du noch hier? Du hast uns verlassen. Geh! Verschwinde! Hier ist kein Platz mehr für dich.“ Und damit wandte sie sich ab und schlüpfte wieder unter den Stall. Die andere Henne betrachtete ihn noch einen Moment lang, drehte sich dann um und verschwand ebenfalls.
Er stand einfach nur da, während sich in ihm die Erkenntnis ausbreitete, dass sein Leben, wie er es bisher gekannt hatte, vorbei war. „Es tut mir leid, was passiert ist“, dachte er. „Es tut mir so leid.“ Er sah hinüber zu dem Ort, an dem die Hennen gerade noch gestanden hatten, als erwartete er eine Antwort. Vielleicht würden sie wieder hervorkommen, ihn ansehen und ihm sagen, dass es schon gut sei, dass es nicht sein Fehler gewesen wäre und dass er wieder in den Pferch kommen und mit ihnen leben dürfe. Aber sie kamen nicht.
Kapitel 3 – Aufbruch
Der kühle Ostwind, der von der Bucht herüberwehte, durchfuhr Joshuas Gefieder. Er wusste nicht warum, aber er befand sich immer noch an dem gleichen Platz, an dem er mit den Hennen gesprochen hatte. Es fiel ihm schwer, sich zu bewegen. „Ich kann auch einfach eine Weile hier sitzen bleiben“, dachte er. „Mal sehen, was passiert.“ Er saß da, betrachtete den Stall und wartete darauf, dass die Hennen irgendetwas tun würden. Als die Sonne tief über den Hügeln stand, gingen die Lichter im Bauernhaus an. Dann öffnete sich die Tür und der Bauer trat heraus. Er ging direkt auf den Pferch zu und schenkte Joshua keinerlei Aufmerksamkeit. Als er sah, was geschehen war, schrie er auf. Sein Gesicht war rot vor Wut und er schickte Flüche Richtung Himmel, während er die schlaffen Körper der toten Hühner aufhob. Als er den Pferch verließ, steuerte er direkt auf Joshua zu. Er ließ die Hühner zu Boden fallen und versuchte, immer noch fluchend und zeternd, ihn zu fassen. Zweimal hatten ihn die großen, schwieligen Hände des Bauern beinahe erwischt, einmal packte er ihn am Flügel. Joshua entkam ihm nur knapp. Schließlich trat der Bauer nach ihm, bis Joshua sich auf einen nahen Baum rettete. Von dort aus beobachtete er, wie der Bauer schließlich die toten Hühner aufsammelte und zurück ins Haus ging.
Joshua blieb die ganze Nacht auf seinem Ast hoch oben im Baum. In düsteren Träumen sah er die kleinen, leblosen Körper seiner Schar. Die beiden Hennen verfluchten ihn immer wieder – ihre Augen waren tot, ihre Federn blutig.
Mehrmals erwachte er in der Dunkelheit und wünschte sich zurück in die weiche Wärme des Stalls, zwischen die kleinen Raschelgeräusche und die vertrauten Züge der anderen. Er hatte noch nicht ganz begriffen, dass dieser Teil seines Lebens nun unwiderruflich vorbei war, verschwunden wie Nebel in der Sommersonne, ausgelöscht, und nicht mehr zu ihm gehörte.
Im Morgengrauen, als noch alles still war außer der Wind in den Baumwipfeln über ihm, flatterte er von seinem Ast herunter und machte sich auf den Weg zur Wiese. Er sah sich nicht um. Einige Male verspürte er das Bedürfnis danach, doch er hielt sich jedes Mal zurück.
„Je früher ich vergesse, desto besser“, sagte er zu sich. Als er sich anschickte, die große Wiese ein zweites Mal zu überqueren, setzte ein kalter, beständiger Regen ein, der sein Gefieder bis auf die Haut durchnässte. Es gab keinen Baum, unter den er sich flüchten, keinen Busch, in dem er Schutz suchen konnte. Die Weite des
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