Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
würde er es nicht schaffen, aber er nahm alle Kraft zusammen und legte sie in seinen letzten Schlag. Und dann hatte er den Zaun überwunden und landete auf der anderen Seite. Die Hennen kamen auf ihn zu, um ihm zu folgen, doch sie konnten nicht begreifen, dass sich nun ein Hindernis zwischen ihnen befand. Er war unerreichbar. Er war frei. Eine Welle von Aufregung durchströmte ihn, als er sich vom Zaun entfernte. Ein letztes Mal sah er sich um und unterdrückte ein Gefühl des Bedauerns. Dann wandte er sich ab und richtete seine Konzentration auf die Aufgabe, die vor ihm lag.
Joshua hatte nicht die geringste Ahnung, wohin er gehen sollte, aber es war wohl eine gute Idee, zuerst die große Wiese zu überqueren. Dann würde er unter den Bäumen in den dichten Wäldern Schutz suchen. In der anderen Richtung lag das Wasser, und aus Angst, entdeckt zu werden, wollte er nicht am Strand entlang laufen. Als er jedoch an der Wiese angekommen war und zur weit entfernten anderen Seite hinüberblickte, war er sich auf einmal nicht mehr so sicher. War er wirklich gerade aus dem Pferch geflogen und hatte sein Heim verlassen, den Ort, an dem er geboren und aufgewachsen war, den Ort, an dem er sein ganzes Leben verbracht hatte? Es kam ihm plötzlich so dumm vor. Warum hatte er das getan? Er hatte keine logische Erklärung dafür. Einen Moment lang war er hin- und hergerissen. Vielleicht sollte er einfach umkehren. Vielleicht war das Ganze doch keine so gute Idee gewesen. Aber da er nun schon einmal hier war, konnte er sich ja zumindest einmal ansehen, was sich auf der anderen Seite der Wiese befand. Zurückgehen konnte er immer noch.
So machte er sich daran, die große Wiese zu überqueren. Das war viel leichter gesagt als getan. Der Schnee war stellenweise vereist und das Gras war zum großen Teil noch gefroren und ragte wie riesige Stacheln aus dem Boden. Als er den halben Weg hinter sich gebracht hatte, bemerkte er, dass die Sonne schon tief am Himmel stand. In ein paar Stunden würde es dunkel sein. Er wollte vor Einbruch der Dunkelheit den Waldrand erreichen und in einem der Bäume Schutz suchen. Mittlerweile war er sich sicher, dass es das Beste wäre, am nächsten Morgen zu seinem Pferch zurückzukehren. Und dann hörte er es.
Es war ein tiefer Schrei, noch fern, aber er kam rasch näher. Joshua ließ sich auf den Boden fallen. Ihm wurde klar, dass er mit seinem rotglänzenden Federkleid auf dem Schnee und dem braungrünen Gras gut zu erkennen war. Als er die Eule sah – ihre Flügelspanne war dreimal so groß wie seine, ihre Krallen doppelt so groß wie Hühnerfüße und ihr Schnabel konnte mit einem Zuschnappen seine Beine brechen – hatte er das Gefühl, es sei der Tod selbst, der ihn holen komme. Wie erstarrt lag er auf dem Boden, hielt den Atem an und versuchte in Todesangst beinahe, sein Herz zum Stillstand zu bringen. Als er kaum merklich seinen Kopf drehte, sah er sie anmutig über den Himmel gleiten und ihre Kreise ziehen. Er war sich sicher, dass sie ihn sich jede Sekunde holen würde. Sie würde hinabtauchen, ihn schnappen und hoch in die Luft tragen, um ihn an einen Ort zu bringen, wo sie ihn fressen konnte. Nur die Federn und der Kopf würden übrig bleiben, wenn sie mit ihm fertig war, sonst nichts. Aber zu seiner Überraschung kam sie nicht auf ihn zu. Sein Blick folgte ihrer Flugbahn, bis ihn die Erkenntnis mit voller Wucht traf: der Pferch! Die Hennen waren ohne Schutz und niemand würde sie warnen. Die Eule hatte leichte Beute. Sie konnte mühelos drei oder vier Vögel töten, bevor der Rest unter den Stall fliehen konnte.
Joshua hatte die Hennen immer vor den Raubvögeln gewarnt. Er hatte die Eule oft schon gesehen, bevor auch nur eines der Hühner sie bemerkt hätte. Einmal hatte er einen Habicht erspäht. Er hatte ihn erkannt, nicht mehr als ein Schatten vor der tief stehenden Sonne, hatte gekräht und die Hennen hatten sich unter den Stall geflüchtet und gerade noch rechtzeitig in Sicherheit gebracht.
In dem Augenblick, in dem ihm klar wurde, was die Eule vorhatte, wusste er auch, dass es zu spät war. Er krähte, so laut er konnte, und hüpfte und rannte in Richtung Stall. Er hatte keine Hoffnung, dass er rechtzeitig da sein würde, um sie zu warnen. Er flog, wenn er konnte, stolperte mehrmals und stürzte einmal sogar mit dem Kopf voran in eine Schneewehe. Die Zeit schien zäh wie Sirup und Joshua kam es wie eine Ewigkeit vor, bevor er endlich den Pferch erreichte.
Dort bot sich ihm ein Bild
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