Die drei Frauen von Westport
Zeiten, in denen Joe das tatsächlich erwog. Doch dieserTag gehörte nicht dazu. Betty war unerträglich. Sie ließ sich hemmungslos gehen, lief im Morgenmantel herum, sprach mit überdreht fröhlicher und zugleich melodramatischer Stimme und trank zu allem Überfluss schon vormittags Whisky.
»Dieser Single Malt sollte genossen, nicht runtergeschüttet werden«, merkte Joseph an.
»Ich bin verzweifelt.«
»Du benimmst dich albern, Betty. Du siehst aus wie aus dem Film Das verlorene Wochenende . Es ist nicht gesund, hierTrübsal zu blasen und sich volllaufen zu lassen.«
»Mein Mann verlässt mich nach fünfzig Jahren«, entgegnete Betty.
Achtundvierzig, dachte Joseph.
Als hätte sie ihn gehört, sagte sie: »Dreckskerl.«
Und warf ihr Glas nach ihm.
»Schon recht, ElizabethTaylor«, sagte er und holte ein Handtuch aus dem Badezimmer.
»Falscher Film«, kreischte sie.
»Wir sind hier nicht im Film, Betty«, sagte Joseph. »Genau darum geht es.«
»Dreckskerl«, sagte sie noch einmal und ließ sich auf die Couch sinken.
Es klingelte, aber Betty rührte sich nicht von der Stelle, sondern blickte starr auf den offenen Kamin. Den Kaminsims mit dem imposanten Spiegel und der dekorativen Gesso-Struktur hatte sie vor vielen Jahren auf einem Schrottplatz entdeckt. Wie konnte Joseph nur von ihr erwarten, dass sie sich von ihrem Greek- R evival-Kamin trennte? Ihrem heimischen Herd? Sie sah ihr trübsinniges Gesicht im Spiegel. Die reglosen griechischen Frauenbüsten auf dem Sims starrten zu ihr herüber. Sie hörte Josephs Schritte. Er hatte einen schweren Gang. Wie würde sie diese Laute vermissen, wenn Joseph nicht mehr hier sein würde, wenn sie mit diesen beiden gleichgültigen weißen Büsten alleine zurückbleiben würde. Sie hörte, wie der Portier an der Sprechanlage Miranda ankündigte. Als Miranda noch klein war, hatte sie immer mit den Kamindamen gesprochen und eleganteTeeeinladungen für die körperlosen, mit Goldblättern verzierten Köpfe gegeben.
»Willst du, dass sie dich so sieht?«, fragte Joe, als er insWohnzimmer zurückkam.
Einen Moment lang dachte Betty, er spräche mit einer der Büsten. Dann verstand sie.
»Willst du, dass sie dich sieht?«, erwiderte sie. Der Klang ihrer eigenen Stimme war ihr zuwider. Am liebsten hätte sie gesagt: Oh, Joseph, lass uns doch aufhören mit diesem Unsinn.
Sie hörten, wie Miranda die Tür aufschloss. Ich muss diesen Schlüssel zurückfordern, dachte Joe. Und den von Annie auch. Er sah seine Frau an. Wie sie da eingerollt auf der Couch lag, in ihrem alten weißen Bademantel, sah sie aus wie ein zerknülltes und entsorgtes Papiertaschentuch. Joe zuckte innerlich zusammen bei diesem Gedanken. Selbstverständlich entsorgte er seine Frau nicht. Er würde großzügig sein. Er war grundsätzlich großzügig. Sie dagegen benahm sich völlig irrational, was ihr gar nicht ähnlich sah. Sie sah nicht einmal mehr aus wie sie selbst, weil ihre Augen so geschwollen waren vom vielenWeinen.Wenn sie sich nur vernünftiger benehmen würde, könnte man alles gütlich regeln; in einer neuenWohnung würde es ihr bestimmt gleich besser gehen.
»Verworrene Lage«, bemerkte er.
»Ich würde sie eher verheerend nennen wollen«, erwiderte Betty.
Miranda kam herein, ging zur Couch und gab ihrer Mutter einen Kuss.
»Huu«, machte Miranda dann und schnüffelte. »Da hat aber jemand früh angefangen.«
»Ich leide.«
Miranda setzte sich und nahm ihre Mutter in die Arme.
»Mein armes Schätzchen«, sagte Betty. »Du auch, wie? Na komm schon, Süße. Ist ja gut, ist ja gut.«
Joe betrachtete die beiden, wie sie sich gegenseitig den R ücken tätschelten, und murmelte: »Ist ja schon gut.« Er fühlte sich schrecklich, wie ein Unhold mit einem gigantischen weißen Badehandtuch in den Händen. Aber was hatte er eigentlich verbrochen?War es denn tatsächlich so schlimm, wenn man sich verliebte?
»Das ist eine äußerst ungesunde Situation«, bemerkte er.
Die beiden Frauen beachteten ihn nicht.
Joseph ließ das Handtuch auf die Whiskylache fallen und starrte darauf. Der warme Duft von Scotch verbreitete sich im Zimmer.
»Ich bin kein Unhold«, sagte Joe.
Am nächstenTag packte Joe seine Koffer und flog aus geschäftlichen Gründen nach Hongkong.
»Jetzt bist du bestimmt erleichtert, dass er weg ist«, sagte Annie amTelefon zu ihrer Mutter.
Doch Betty war keineswegs erleichtert, sondern noch untröstlicher als zuvor.
Außerdem hatte sie nun ein Geldproblem. Ein äußerst
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