Die drei Hellwang-Kinder
Wasserspiegel, und ihr Schatten hielt die Temperatur des Wassers auch an heißen Tagen in erträglichen Grenzen. Hier herrschte im Sommer und zumal in den großen Ferien ein heiteres Badeleben, zu dem sich die Greiffinger Jugend aus weitem Umkreis einfand, denn das Baden in der Würm war aus hygienischen Gründen verboten, und die wachsame Landpolizei sorgte dafür, daß das Verbot auch eingehalten wurde. Die Wasserrechnungen, die der Gemeindebote Pranftl an jedem Ersten kassierte, brachten zwischen Mai und September Luisas ausgeklügelten Haushaltsplan ins Wanken.
Luisa...Sie war nicht mehr. Und in diesem Augenblick grub ein Steinmetz ihren Namen und die zwei Daten ihres nur vierunddreißig Jahre währenden Lebens in einen rötlichen Granitblock ein. —
Konrad Hellwang starrte aus dem Wohnzimmer des Hauses in den Garten hinaus. Der Märzwind zupfte an den Zweigen der Weide. Noch verriet kein hellerer Schimmer in dem fahlgelben Astwerk des Baumes das Nahen des Frühlings. Der Rasen war filzig und braun, sein lehmiger Untergrund hielt noch den Winterfrost fest und ließ das Schmelzwasser nicht versickern. Der Boden quatschte unter den Gummistiefeln der Kinder.
Lydia und Söhnchen spielten um den Teich herum Fangermandl. Britta saß neben ihrer Großmama, Luisas Mutter, im Zimmer und lernte englische Vokabeln. Sie murmelte Quetschlaute vor sich her und reichte der alten Dame schließlich das Buch zum Abhören hin. Es war auf den Tag genau sechs Wochen her, daß sie Luisa auf dem Waldfriedhof zur letzten Ruhe gebettet hatten.
Hellwangs Eltern waren auf der Flucht aus Ostpreußen ums Leben gekommen, sein einziger älterer Bruder als Oberleutnant vor Stalingrad gefallen. Die zu der Trauerfeier für Luisa erschienenen Verwandten gehörten ausschließlich der Bendigschen Seite an. Hellwangs Schwiegervater Robert Bendig, Ordinarius für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Kiel, bei dem er noch Vorlesungen gehört hatte, lebte seit seiner Emeritierung in seinem Haus im Sachsenwald. Die jüngere Schwester Luisas, Beatrice Bendig, kurz Trix genannt, die zur Zeit ihre fachärztliche Ausbildung zur Röntgenologin in der Würzburger Universitätsklinik absolvierte, hatte den alten Herrn, der den Tod seiner geliebten ältesten Tochter nicht überwinden konnte, eine Woche nach der Beisetzung Luisas nach Hamburg begleitet, wo ihn eine Frau, die den Schwiegereltern sonst halbtags die Wirtschaft führte, schlecht und recht versorgte; aber der Fünfundsiebzigjährige brauchte seine vertraute Umgebung und lebte in ihr wieder auf. Die Kinder hatten den Großvater leichteren Herzens ziehen lassen als ihre Tante Trix, an der sie alle drei, auch das Söhnchen, während ihres sechstägigen Aufenthaltes in Greiffing wie die Kletten hingen. Es gab einen sehr tränenfeuchten Abschied, und Trix mußte ihnen >in die Hand und auf Ehr und Seligkeit< versprechen, bald wiederzukommen. Geblieben war Luisas Mutter Dorothea Bendig, um den verwaisten Haushalt in Gang zu halten und sich um die Zukunft zu kümmern, denn nach ihrer Meinung knarrte das Getriebe bedenklich.
Konrad Hellwang verschloß sich gegen das Her und Hin von Frage und Antwort: »Das Messer?« — »The knife...« — »Die Gabel?« — »The fork...« — »Der Löffel?« — »Sakrasakrasakra...«
»Ich bitte dich, Britta! Denk einmal nach! Sakrasakra heißt es bestimmt nicht!« — »Ich weiß schon, Omi — The spoon!«
— »Ja, the spoon — warum nicht gleich so?«
Draußen stieß Söhnchen spitze, gellende Schreie aus, wenn es ihm gelang, Lydia den Weg abzuschneiden und sie zu greifen. Aus alter Gewohnheit verhielten die beiden dann für einen Augenblick und kehrten die hellen Gesichter zum Hause hin; aber dort flog kein Fenster auf, und die Stimme Luisas, die sonst warnend und dämpfend dazwischengefahren war, wenn das Geschrei im Garten zu arg wurde, blieb stumm. — Britta packte ihre Bücher und Hefte in den Schulranzen.
»Ich geh’ noch ein wenig nach draußen, Omi, darf ich?«
»Ja, geh nur, Kind, geh nur — aber zieh die Gummistiefel an, damit du keine nassen Füße bekommst und vergiß auch die wollenen Strümpfe nicht!«
Britta lief davon, und Konrad Hellwang stieß sich vom Fenster ab. Die alte Dame setzte in einem Wollstrumpf von Lydia eine neue Ferse ein. Bei der Bewegung ihres Schwiegersohnes ließ sie das Strickzeug sinken und schaute über die Brillengläser hinweg zu ihm empor.
»Ich habe übrigens heute einen Brief von Vater bekommen«,
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