Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
müssen, hier und da eine Prise Salz, um die Unzulänglichkeiten meines schlecht durchdachten Konstrukts etwas genießbarer zu machen.
Ein Grund für den Aufwand, den ich hier betreibe, ist der Wunsch zu beichten, wie wir ihn ja alle insgeheim hegen, und so besteht der Gewinn dieses Spiels zum Teil darin, mich besser kennenzulernen (wenn auch nicht unbedingt von einer besseren Seite), denn ein Großteil dessen, was ich dir hinterlassen habe, ist nichts als Tinte, die aus meinem Stift geflossen ist und den dunkelsten Winkeln meines Bewusstseins Gestalt verleiht. Ein anderer Grund ist die Absicht, dich zu befreien, aus einer langen Winterstarre, die dich in die Sicherheit des Bekannten hüllt. Drum erhebe dich nun, edler Ritter, denn es ist Frühling und hehre Taten stehen dir bevor und ich werde dir als treuer Knappe zur Seite stehen (obwohl ich hoffe, dass deine Kämpfe sich auf Windmühlen und imaginäre Widersacher beschränken werden) und vielleicht wirst du am Ende gar die Hand der schönen Dulcinea gewinnen, denn der Lohn ist die Erfahrung, die Schätze sind Dinge, die man sehen, tun, schmecken, riechen kann und außerdem eine Menge Geschreibsel, das du – wer weiß? – vielleicht als Inspiration für einen Roman benutzen, als Andenken behalten oder an kalten Winterabenden im Kamin verbrennen kannst, um es warm zu haben, wenn du als armer Dichter in deiner Mansarde hockst und an Diphtherie stirbst, wie ich es dir mit Blick auf deine künstlerische Glaubhaftigkeit von ganzem Herzen wünsche. Du verdienst einen romantischen Tod, meinst du nicht auch?
Natürlich bist du in keinster Weise dazu verpflichtet, die beschwerlichen Aufgaben, die ich für dich ersonnen habe, zu Ende zu führen, falls du dich jedoch dafür entscheidest, findest du hier genug Stoff, der dich bei Laune halten wird. Und ich werde aus dem Himmel zu dir herabblicken (oder, was wahrscheinlicher ist, aus der Hölle herauf) und mit dir lachen, so wie vermutlich auch in jenem Moment, da du diese Zeilen liest. Scheiße, ich hoffe, der Gedanke, dass ich mit dir im selben Raum bin, macht dich nicht nervös. Steck das Ding weg, du ungezogener Junge – nein, nur ein Scherz, keine Sorge; lass es ruhig draußen – nein, sorry, war wirklich nur ein Scherz. Verdammt, jetzt habe ich es zu weit getrieben.
Und nun lies weiter die Sachen auf meinem Computer. Das sollte dich auf ein paar Ideen bringen, was du tun könntest – nicht, dass ich denke, du bräuchtest unbedingt etwas zu tun, aber das ist nun mal der Anfang.
Butterfly
X O X M X E X I X N X G X E X H X I X R X N X O X
3
T OMOMI I SHIKAWAS W OHNUNG LEERT SICH AUF MYSTERIÖSE W EISE
Ich stand auf und tigerte durch die Wohnung. Eine Weile starrte ich sehnsüchtig auf mein Bett und überlegte, mich auszuziehen, um die kühle Frische der Baumwolle auf meiner Haut zu spüren. Dann dachte ich an Butterflys Geist, der sich mit mir im Zimmer befand, und schämte mich plötzlich beim Gedanken daran, nackt zu sein. Schön, wenn sie nach ihrem Tod ein bisschen bei mir rumhängen wollte, aber das bedeutete doch wohl nicht, dass sie alles mit ansehen musste, oder? Vielleicht verpflichtete man sich als Geist, wenn man sich einmal einen Menschen ausgesucht hatte, aber auch für das volle Programm, ob man wollte oder nicht, und sie würde von nun an gezwungenermaßen die intimsten und höchstwahrscheinlich auch peinlichsten Momente mit mir teilen.
Ich ließ mich auf mein Bett fallen und versuchte, an gar nichts zu denken. Ich fragte mich, ob sie hatte weinen müssen, als sie es getan hatte, oder ob sie vollkommen ruhig gewesen war. Ich fragte mich, ob sie einen kurzen Moment der Panik verspürt hatte, als es zu spät gewesen war, und ob sie Zweifel bekommen oder ihre Meinung geändert hatte. Ich stellte mir vor, sie würde mir gegenüberliegen, die Arme um das Kissen geschlungen, den Kopf darauf gebettet, den Blick auf mich gerichtet. Tut mir leid , sagte sie.
Ich stand auf und zog mir Schuhe an. Bin mal kurz einkaufen , sagte ich zu ihr. Ich wusch mir das Gesicht und rannte die Treppe hinunter, aus der Haustür und zu der kleinen Épicerie in meiner Straße. Die Weinauswahl dort ist nicht überragend, aber ich fand zwei Flaschen, die mir ganz annehmbar erschienen.
Als ich aufwachte, war es Morgen und ich war betrunken und komplett angezogen. In der Luft lag der beißende Geruch des vollen Aschenbechers neben meinem Bett, noch eine Spur widerlicher durch das halb leere Weinglas daneben. Im Spiegel
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